Interview mit Jens Rittmeyer

Wer zum Chef-Alliance-Koch Jens Rittmeyer recherchiert, stößt schnell auf das Wort »Saucengott«. Luka Lübke wollte wissen, was er selbst von diesem Titel hält und hat den dreifachen Sternekoch in Buxtehude besucht, einer beschaulichen Stadt zwischen Altem Land, Stader Geest und Lüneburger Heide.

Jens Rittmeyer 4 c Götz Wrage.jpgBuxtehude ist bekannt für den wichtigsten deutschen Jugendbuchpreis, den Buxtehuder Bullen, und für das Märchen vom Hasen und Igel, das lehrt, sich nicht für etwas Besseres als die anderen zu halten. Aber für Sterneküche? Eher nicht. »Es ist auch nicht meine favourite destination«, sagt Jens Rittmeyer, der hier Ende 2023 sein Restaurant geschlossen hat, um sich, fest auf seinen anderen Standbeinen stehend, nach etwas Neuem umzusehen. »Zum Wohnen ist es schön, aber um ein Sternelokal stabil zu halten, sind wir zu weit draußen. Was ich beibehalte, ist mein Shop: Ich handle bei Rittmeyers Genusswelt mit meiner handgemachten Feinkost, hauptsächlich Saucen und Brotaufstrichen in Gläschen, und einigen hochwertigen Küchenaccessoires. Außerdem koche ich für private und geschäftliche Anlässe bei Menschen zu Hause und arbeite als Consulter für gastronomische Projekte.« Jens Rittmeyer gibt auch Kochunterricht, entwickelt Rezepte, initiiert Kochfestivals, schreibt Kolumnen, ganze Bücher und bloggt, im kommenden Jahr wird er nachhaltige Genussreisen durch Portugal begleiten. Warum Portugal?

»Ich habe acht Jahre dort verbracht. In Portugal war meine erste Küchenchef-Stelle, da war ich erst 26!« Jens Rittmeyer ist in Halle an der Saale geboren, hat nach der Wende in Baden-Baden eine, wie er sagt, hervorragende Ausbildung genossen und wusste schnell, dass er in die Welt der Sterneküche gehört. In der Ausbildung bewies er sich bei allen deutschen Wettbewerben, die er finden konnte, arbeitete dann im Wasserturm in Köln, im Victorian in Düsseldorf, im Landhaus Köpp in Xanten und im Schlosshotel Lerbach bei Dieter Müller, der, wenn auch nicht als erster, erkannte, dass Jens bei der Zubereitung von Saucen außerordentlich talentiert ist. Zum Abschied gab es deshalb nicht nur ein sehr gutes Zeugnis, sondern auch eine Schürze, auf der stand: »Vielen Dank für die vielen guten Saucen im Namen vieler Gäste.«

Mit diesem Lob im Gepäck schaute Jens sich europaweit nach Arbeit um und fasste als Souschef in der Vila Joya Fuß, einem 2-Sterne-Restaurant in Albufeira. Allerdings blieb er nur ein Jahr, denn man bot ihm seine erste Küchenchefstelle an. Er zögerte. »Ich habe dann alle angerufen. Eckard Witzigmann, den ich von Mallorca kannte, Dieter Müller und Jürgen Köpp in Xanten. Ich bat um ihre Einschätzung dazu, ob ich schon so weit sei. Im Grunde sagten sie alle das gleiche: »Kochen kannst Du ja. Aber überleg Dir, ob Du auch ein Team leiten kannst.« Jens traute sich, wurde, weil er auch für ein Thai-Restaurant verantwortlich war, erst nach Fernost zur Fortbildung geschickt, um dann 2004 seinen ersten Stern in Almancil zu erkochen. Es war das Jahr der Fußball-Europameisterschaft und das São Gabriel war voller prominenter Fußballspieler und den sich darum scharenden Menschen. »Man könnte sagen time of my life«, strahlt Jens, »mit all den Menschen, die ich dort traf.«

Nach acht Jahren Portugal ging es zurück nach Deutschland. Erst nach Berlin, dann nach Sylt. Wo schon die Arbeit im Restaurant KAI3 kein Spaziergang war, er aber gemeinsam mit der Direktorin des Budersand Hotels das Festival der Sterne ins Leben rief. »Im zweiten Jahr wurden wir dann auch hier mit dem Michelin-Stern ausgezeichnet. Wir haben schon 2010 Gemüsemenüs gemacht, meistens enthielten die aber noch Ei oder Molkereiprodukte. Eines Abends kam ein Gast, der spontan ein veganes Menü wünschte, wir schluckten, aber machten es möglich. Am nächsten Abend war der Gast wieder da, weil es so gut geschmeckt hatte. Mein Team und ich hatten uns die Regel gesetzt, für einen Gast nie zweimal das Gleiche zu kochen, so waren wir erneut herausgefordert, unsere Fantasie spielen zu lassen. Das sprach sich herum. Die Büchse der Pandora öffnete sich dann, als der Manager von Herbert Grönemeyer all seinen Berliner Freunden erzählte, wie gut man bei uns auf Sylt vegan essen könne. Die Presse drehte durch, titelte nun nicht mehr nur mit Saucengott, sondern auch mit Gemüse-Magier! Ich hatte ein Hammer-Team. Wir verkauften von da an schon 60 Prozent Gemüse-Menüs, alles ohne Zusatzstoffe, Industriezucker und raffiniertes Öl.« Ganz schön fortschrittlich, immerhin stand die vegane Bewegung Anfang der 2010er Jahre noch am Anfang. Trotzdem spricht Jens Rittmeyer auch heute lieber von Gemüse-Menüs als von veganer Küche, weil das nicht so klinisch klinge.

Was bedeuten die Sterne für Dich?

Damals wollte ich sie unbedingt. Und sie haben mich stolz gemacht. Auch heute bin ich noch stolz darauf, es gibt nicht viele, denen es gleich dreimal im Leben gelungen ist, mit einer komplett neuen Mannschaft an einem neuen Ort mit einem neuen Konzept einen Michelin-Stern zu bekommen. Trotzdem denke ich heute, das Produkt muss der Stern, die Auszeichnung sein. Klar kann man Handwerk auszeichnen. Wenn ich den perfekten Teller habe und jede Komponente ist perfekt auf den Punkt gegart, dann ist das lobenswert. Aber es ist nicht alles. Ich finde, es muss auch eine Handschrift erkennbar sein, wenn man Küchenleistung auszeichnet. Das ist, was mich wirklich anrührt beim Essen. Ich will den Klang und den Geschmack der Region spüren. Manchmal bin ich enttäuscht, zu beobachten, wie viele Köch*innen heute das gleiche machen. Wie viele Teller gleich aussehen, weil alle denselben Vorbildern nachjagen. Der Stern bringt zusätzliche Gäste, das ist wahr, aber er schreckt auch Leute ab. Er ist dennoch bis heute die härteste Währung unter allen Auszeichnungen.

Aber?

Ich finde Lebensmittel spannend und was man damit machen kann. Als kleiner Junge von sechs Jahren war ich schon mit in der Küche und habe einfache Aufgaben von Mama und Oma bekommen. Die waren viel beschäftigt und haben gesagt: »Jens, mach doch schon mal…« Wir Kinder durften auch jeden Sonntag das Frühstück für die Familie machen. Im Garten gab es viel selbst Angebautes: Obst, Gemüse und Kräuter. Was gibt es denn Besseres als einen Salatkopf von draußen zu holen und ihn fünf Minuten später auf dem Teller zu haben? Wenn du so groß geworden bist, kannst du gar nicht anders, als das zu schätzen.

Zieht es dich denn nicht nach Ostdeutschland zurück?

Eher schaue ich mich gerade in Hamburg nach einer neuen Location um. Aber ich lasse mich von 2024 überraschen. Mal sehen, wie mein Shop läuft und die anderen Sachen. Wenn jemand kommt und sagt: »Jens, ich habe da eine Idee für Dich auf Mallorca«, dann laufe ich auch nicht davon. Das Leben im Süden ist schon ein anderes – das Licht, die Wärme, die ganze Stimmung ist so schön. Ich war schon oft im richtigen Moment am richtigen Ort – wer weiß, was als nächstes passiert?«

Nochmal zurück ins schöne Buxtehude. Wie bist du hierher geraten und was ist Dir begegnet?

Ein Angebot des Hotels Navigare. Dort habe ich 2017 meinen dritten Stern im Restaurant N°4 verliehen bekommen, dort habe ich auch meine ersten Saucen-Kollektionen im Glas auf den Markt gebracht. Covid führte dann dazu, dass das Hotel verkauft werden musste, so bin ich 2021 in die Selbständigkeit gegangen und habe mein eigenes Rittmeyers N°4 gegründet, hier im Vorstandskasino. Es war, trotz der kurzen Öffnungszeiten unter den aktuellen Bedingungen aber nicht auskömmlich – jetzt freue ich mich auf etwas Neues!

Was wirst Du vermissen, solltest Du weggehen?

Meine produzierenden Partner*innen hier im alten Land, in der Marsch und in der Heide. Schade, dass sie immer weniger werden.

Nennst du ein paar Beispiele?

Der Biohof Ottilie in Mittelnkirchen mit Obst und Gemüse, Wilkenshoff in Hollenstedt mit Gemüse und Blüten, Lars Odefey mit Geflügel in Uelzen. Marlies Palatini in Soltau, die die schönsten Tomaten hat und erst an dem Tag für mich erntet, wenn sie wirklich reif sind – wo gibt’s denn so was noch? Michael Bauer, mein Lieblings-Imker in York, und den Bio-Forellenhof Wilke in Horneburg – von dort habe ich immer ausgewachsene Lachsforellen bekommen, sie haben sie für mich extra ein Jahr später erst geschlachtet als für den Handel, dann haben sie richtig Geschmack.

Wie bist du zur Slow Food Chef Alliance gekommen?

Jens Witt aus Hamburg hat mich vorgeschlagen, er hatte schon des Öfteren von meiner Arbeit gehört. Geprüft hat mich dann Katharina Bäcker. Während des Prüfprozessen habe ich gedacht: da hätte ich längst mitmachen sollen, das passt zu mir, dieses Produktorientierte.

Und fehlt Dir was? Könntest Du etwas besser machen?

Das mit dem Zucker. In vielen Rezepten, selbst bei Slow Food, werden auch im herzhaften Bereich unvernünftige Mengen Zucker verwendet. Den zu ersetzen durch Rohrohrzucker, Rübensirup, Honig oder Agavendicksaft wäre schon ein erster Schritt nach vorn. Natürlich ist es dann immer noch Zucker. Ein weiterer Schritt ist, die Süße aus Obst und Gemüse zu nutzen. Ein Stück Apfel mitkochen, frisch gepressten Selleriesaft einsetzen, die Süße von Möhren oder Zwiebeln nutzen. Wenn man sich daran gewöhnt hat, dass alles nicht so süß abgeschmeckt ist, kann man vielleicht irgendwann jeglichen Zucker weglassen. Die klassischen Desserts bilden da natürlich die Ausnahme, wenn Konsistenz und Farbe gehalten werden sollen.

Wo würdest Du anfangen, wenn Du 2024 Ernährungsminister würdest?

In der Schule. Mindestens Hauswirtschaft muss unterrichtet, besser noch Ernährung als Fach eingeführt werden. Und das dann möglichst so umgesetzt werden, dass es Freude macht und nicht aus Auswendiglernen von Fremdwörtern und Verboten besteht. Das würde auch vielen jungen Eltern sehr helfen!

Hast du ein kulinarisches »guilty pleasure«, also ein heimliches kleines Laster?

(Jens hält eine Waffelschnitte hoch.) Ich sage nur: Morgens halb zehn in Deutschland

www.jens-rittmeyer.de/collections

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