Interview mit Philipp Bomke-Lambertz
„Vor hundert Jahren war das hier eine Bauernschänke, in der sich die Landwirt:innen nach der Arbeit oder auch zum Frühschoppen trafen,“ erzählt der Küchenchef. „Vielleicht gab es mal ne Frikadelle, aber hauptsächlich ging es darum, sich die Kante zu geben und den neuesten Tratsch auszutauschen. Die großen Höfe in der Marsch entlang der Weser lagen weit auseinander, und alle paar Kilometer gab es so ein Gasthaus, zu jedem gehörte eine kleine Fähre, um den Fluss überqueren zu können. Später kamen dann die Fischer und die Uferbehörde-Leute dazu, erst nach dem zweiten Weltkrieg verwandelte sich das Deichkind in ein Speiselokal, dass auch Städter zu einem Ausflug hierher einlud. Mit dem Fahrrad erreicht man es von Bremen aus in unter einer halben Stunde.“
Warst du schon immer Koch? „Du meinst, was ich gelernt habe, oder was ich bin? Das ist ein Unterschied. Köchin gelernt hat meine Frau Martina, die jetzt das Restaurant leitet. Ich habe schon immer gern gekocht, schon mit 10 Jahren. Ich habe auch schon immer gern etwas anders machen wollen, da gab es schon mal kleine Küchenstreitigkeiten mit meiner Mutter! Schon vor dem Abitur habe ich mehrere Praktika im Bremer Parkhotel gemacht, ein heißbegehrter Ausbildungsbetrieb zu der Zeit, ich wollte in die gehobene Gastronomie. In meinem Bewerbungsjahr gab es allerdings einen Ausbildungsstopp, so fragte ich im Hamburger vier Jahreszeiten, aber trotz Praktika und gutem Schulabschluss hätte ich zwei bis drei Jahre warten müssen, um mit der Lehre zu beginnen. So bin ich erstmal Bankkaufmann geworden, habe dann Europäisches Finanz- und Rechnungswesen studiert, allerdings nur bis zum Vordiplom. Danach hätte ich nach England gemusst, aber ich war so mit der Bremer Gastroszene verwachsen, dass ich hiergeblieben bin und mich als Autodidakt selbstständig gemacht habe. Als Freelancer habe ich in verschiedenen Restaurants in Bremen als Küchenchef, später als Küchendirektor gearbeitet. Ich konnte ja kochen, nur den Schein hatte ich nicht.“
Hast Du überlegt, die Lehre nachzuholen? „Nein, warum? So eine Quälerei. Ich würde bestimmt auch durchfallen, weil ich alles anders machen wollen würde. Ja, kochen ist Handwerk – das ist das, was man lernen kann. Aber Kochen ist auch Kunst, das hat mit Talent zu tun. Wenn Du das nicht hast, kannst Du lernen, soviel du willst. Auch über den Tellerrand der klassischen Rezepturen hinauszuschauen ist wichtig, so vieles ist Physik und Chemie. Wie erreiche ich bestimmte Texturen, wie kriege ich in etwas besonders viel Luft rein, wie entstehen Emulsionen? Mir ist unheimlich wichtig, wie sich etwas im Mund anfühlt, nicht nur sein Aroma macht es zum Erlebnis. Die Haptik der Dinge wird in der deutschen Küche unterschätzt. Du siehst, Kochen kann ein sehr komplexer Beruf sein, vielleicht macht er mir darum so viel Spaß?“
Hattest Du in Deiner Laufbahn einen Schlüsselmoment, ab dem Du nachhaltig ökologisch arbeiten wolltest? „Es kam nach und nach und das meiste kam aus dem Privaten. Womit will man sich und seine Familie ernähren? Was gibt die Landschaft her und wofür will man sein Geld ausgeben? Zur Dattel bin ich zum Beispiel gekommen, weil ich über Zuckerkonsum nachgedacht habe. Weißer Zucker ist ja eigentlich Gift und ich kriege das Grausen, wenn ich lese, dass jede:r Deutsche im Schnitt über 30 kg Zucker pro Jahr zu sich nimmt!“
Liest man Deine Speisenkarte, kommen zwar fast ausschließlich heimische Hauptkomponenten vor, aber trotzdem liest sie sich wie eine Weltreise, oft in Richtung des nahen Ostens – woher kommt Deine orientalische Seele? „Das hat zwei Gründe, die in meiner Jugend zu finden sind. Ich bin mal ein halbes Jahr in Spanien zur Schule gegangen, da wurde viel gekocht und ich habe alles aufgesogen wie ein Schwamm. Dort habe ich zum Beispiel von der Gastmutter gelernt, wie man Tortilla richtig macht. Aber ein Buch gab es auch, mein Bruder hat es mir geschenkt, als ich 16 war: das mit dem Roten Löffel. Für die damalige Zeit war es revolutionär, einerseits was Food Fotografie anging, andererseits wegen des Warenkunde- und des Technikteils – eigentlich ein Lehrbuch.“ Philipp holt ein Buch hervor, tausendmal geflickt und fast zerlesen. Als wäre es gestern gewesen, schlägt er das Hackfleischkapitel auf, in dem es vier Würzvorschläge gibt, die ihm als jungem Mann den Ausschlag gaben. „Diese beiden habe ich gemacht“, zeigt er mir, „indisch und arabisch“. Seitdem sah meine Welt anders aus. Ich wusste, es gibt nicht nur die eine Boulette, die Welt ist groß.“
Seit 2022 bist Du Mitglied der Slow Food Chef Alliance. Warum hast du Dich dafür entschieden und was erwartest Du, wie möchtest Du Dich einbringen? „Meine Motivation ist keine andere als die in jedem Handeln, das ich tue. Als Du und ich uns 2020 kennenlernten, haben wir uns über unsere Lieferantennetzwerke ausgetauscht, das hat mir Möglichkeiten eröffnet, die ich vorher nicht kannte. Man redet mit Menschen, auch mit seinen Kindern über Nachhaltigkeit. Darüber, dass wir nicht machtlos sind, etwas zu ändern. Jeder Mensch kann etwas tun, allem Voran steht die Kommunikation. Es sind immer die kleinen Schritte, die den Einfluss geben. Nicht nur in der Küche. Ein Freund aus der Autobranche hat uns vor ein paar Jahren noch ausgelacht, als wir uns ein Elektroauto gekauft hatten, erst ein kleines, dann ein größeres, seitdem fliegen wir nicht mehr und haben trotzdem viele europäische Länder bereist. Heute hat dieser Freund selbst ein Elektroauto.“
Muss man sich Nachhaltigkeit heute leisten können? „Als wir das hier mit 40 übernahmen, waren wir in der privilegierten Situation, dieses Haus kaufen zu können, das hat uns sicherlich mehr Mut zur Konsequenz ermöglicht als einem jungen Menschen, der seine komplette Existenz aufs Spiel setzt. Es war wirtschaftlich nicht immer einfach, auch die Kommunikation mit den Gästen nicht, die uns größtenteils für unseren ökologischen Ansatz gefeiert haben, einige waren aber auch genervt. Und dass ökologisch erzeugte Lebensmittel teurer sind – das ändert sich gerade. Es ist schließlich nicht alles teurer geworden, weil es knapp war, sondern weil Herstellung und Vertrieb des konventionellen Sortiments ausschließlich auf Gewinnmaximierung ausgerichtet sind. Das Naturkostkontor, bei dem ich einkaufe, ist ein Verband aus Landwirtschaftsbetrieben, die seit jeher auf Auskömmlichkeit aus waren, nicht auf maximalen Gewinn. Biologisch erzeugte Lebensmittel sind heute, bis auf bestimmte Einzelprodukte kaum noch teurer als Konventionelle, das lässt sich also immer kalkulieren! Man muss seine Karte nur saisonal darauf einstellen. Ich bekomme immer noch die Preislisten der konventionellen Gemüsegroßhändler. Früher war es so, dass einige wenige Produkte beim Naturkostkontor günstiger waren. Heute ist es umgekehrt. Das meiste frische Gemüse und Obst ist im Biogroßhandel inzwischen günstiger als konventionelle Ware. Die Ware ist halt regional und ohne große Transportkosten.“
Ihr beendet diesen Arbeitslebens-Abschnitt also nicht aus wirtschaftlichen Gründen?
Nein, das nicht. Wir haben das hier wirklich gern gemacht und es macht immer noch Spaß! Aber irgendwann will man mal aufhören, jeden Tag dieses Rad zu treten. Immer selbst da sein zu müssen - anders ginge es hier auf dem platten Land aber nicht. Das Interesse an qualitativ hochwertiger Küche ist nicht sehr hoch. Ich bräuchte keine zwei Hände, um hiesige Restaurants aufzuzählen, die wirklich gut oder außergewöhnlich kochen. Wenn es dann noch nachhaltig sein soll, reicht eine halbe.
Was kommt danach? Das lassen wir ein wenig auf uns zukommen. Meine Frau möchte gerne mehr Zeit zum Malen und für den Garten haben. Je mehr durchsickert, dass ich nicht mehr fest im Restaurant gebunden bin, werden auch zunehmend Anfragen kommen. Es wird wahrscheinlich nicht viel ruhiger, aber auf jeden Fall freier.
Mich interessiert beispielsweise, etwas am Ausbildungssystem der Gastronom:innen zu verbessern. Mein Sohn studiert gerade International Hospitality Management in Amsterdam, ich sehe dort viele zukunftsorientierte ganzheitliche Ansätze, es wird praxisorientiert und berufsübergreifend gelehrt. Das würde mir gefallen, so etwas nach Deutschland zu holen und in einen Slow Food Kontext zu bringen! Und das Deichkind? Wird ein junger, enthusiastischer Mann aus Syrien übernehmen, den wir am Anfang bei seinem Traum nach einem eigenen Restaurant unterstützen. Mit regionalem Einkauf und Sortimentsgestaltung helfen wir ihm, damit es auch ihm gelingt mit seinem neuen Konzept ökologische Produkte und gutes Handwerk anzubieten. Wir möchten schließlich dann gerne als Gast zu ihm kommen!
Du darfst ein Praktikum machen. Wohin gehst Du? Zu einem Schriftsteller oder Lektor meiner Wahl. Ich lese sehr viel und einmal zu sehen und zu lernen, wie man schreibt und ein Buch oder eine Geschichte strukturiert und gestaltet, das wäre sehr schön. Vielleicht möchte ich ja mal ein Buch schreiben! Dem Kochen und der Küche werde ich aber für immer verbunden bleiben.