Warenkunde Hirse
Hirse ist das vermutlich älteste Kulturgetreide der Welt. Schon die Etrusker und die Babylonier schätzten sie, bereits vor 8 000 Jahren nutzte man sie zur Herstellung ungesäuerten Fladenbrots. In China hat ihr Anbau eine 4 000jährige Geschichte, auf dem Teller und auch im Glas, denn der hochprozentige Baijiu, die mit Abstand am meisten getrunkene Spirituose der Welt, wird aus Sorghum-Hirse gebrannt. Doch es muss gar nicht so hochprozentig sein: Im Himalaya wird aus Hirse ein leichtes Bier gebraut, und auch auf dem Balkan trinkt man heute noch Boza, was ursprünglich auf Hirsemalz basierte. Die ersten deutschen Hirsefunde sind auf etwa 5 000 v. Chr. datiert und wurden bei Ausgrabungen in der Nähe von Leipzig entdeckt.
Hirse ist keine eigene Art, sondern der Sammelbegriff für ein Spelzgetreide mit zwölf Gattungen, die zu den Süßgrasgewächsen gehören. Sie lassen sich in zwei Gruppen unterteilen: die größeren, ertragreicheren Sorghumhirsen und die kleineren, weniger ertragreichen Millethirsen. Noch heute ist Hirse in vielen Teilen Afrikas und Asiens ein Grundnahrungsmittel, denn sie liebt die Sonne, braucht nur 100 Tage von der Aussaat bis zur Erntereife, macht lange satt und ist sehr tolerant gegenüber wechselhaftem Wetter und Dürrezeiten. Ihr Nachteil, der sie auch aus den Küchen Europas im 17. Jahrhundert verschwinden ließ, ist der im Gegensatz zu Kartoffeln und Mais geringe Ertrag pro Hektar. Erst mit der Naturkostbewegung in den 1970er Jahren wurde sie bei gesundheitsbewussten Menschen wieder beliebt. Heutzutage wird Hirse nicht nur in der Küche, sondern auch industriell genutzt. Sie kommt als Futtermittel und zur Biogaserzeugung zum Einsatz, und aus den Halmen von Sorghumhirse können Textilien hergestellt werden.
Die weltweit größten Hirse-Exporteure sind die USA, Argentinien und Australien. Die Hirse, die wir in Deutschland kaufen, stammt größtenteils aus den USA, Italien oder Frankreich. Es lohnt sich aber, aufmerksam zu schauen: Gerade im Bio-Bereich lassen sich inzwischen eine Reihe von Produzent*innen aus dem deutschsprachigen Raum finden, von Schleswig-Holstein über Hessen bis nach Österreich. Allerdings ist der Anbau bei uns nach wie vor eine Nische. Die am häufigsten im Lebensmittelhandel anzutreffenden Sorten heißen Goldhirse, eine Millethirse mit hohem Karotingehalt, die dunkle, ballaststoffreiche Braunhirse sowie die Zwerghirse Teff. Letztere wird allerdings meist nur als Mehl angeboten.
Viele innere Werte
Dass schon der griechische Philosoph Pythagoras die Hirse zur Stärkung und Gesundheit empfahl, hat seine Gründe. Hirse ist glutenfrei und leicht bekömmlich. Sie ist für Menschen mit empfindlichen Magen-Darmtrakt oder Zöliakie eine gute Weizen-Alternative. Sogar eine Heilwirkung auf entzündliche Darmerkrankungen wird ihr nachgesagt. Mit 7 mg pro 100 g enthält sie dreimal mehr Eisen als Weizen, das die Blutbildung fördert. Gerade vegan oder vegetarisch lebende Menschen leiden oft unter Eisenmangel, der sich in Gestalt von Konzentrationsstörungen und Mattigkeitserscheinungen bemerkbar machen kann. Auch vom hohen Proteingehalt der Hirse profitieren fleischfreie Essende. Weiterhin stärkt das ebenfalls enthaltene Silizium Zähne, Knochen und Gelenke, aber auch Haare, Haut und Nägel. Neben der Schönheit unterstützt Hirse das Muskel- und Nervensystem mit 123 mg Magnesium pro 100 g. Kupfer erhält das Bindegewebe und die wertvollen B-Vitamine 1, 3, 5 und 6 sorgen für eine reibungslose Muskelfunktion und schnelle Wundheilung.
Allerdings enthält Hirse die wasserlösliche Phytinsäure, die Zink, Magnesium und Eisen bindet, was verhindert, dass der Darm sie vollständig in den Blutkreislauf aufnehmen kann. Daher empfehlen manche Experten, die Körnchen über Nacht oder zumindest für einige Stunden in kaltem Wasser einzuweichen. Das Wasser wird dann später abgegossen und durch frisches Kochwasser ersetzt, um das Phytin auszuwaschen und so das volle Potential an Mineralstoffen auszuschöpfen. Nachteil: Auch die B-Vitamine sind wasserlöslich. Die Entscheidung, ob eingeweicht wird oder nicht, hängt daher von den individuellen Präferenzen ab.
Und noch ein Hinweis: Besonders die dunkleren Hirsesorten enthalten Dhurrin, das die lebende Hirse-Pflanze bei Verletzungen in Blausäure umwandelt. Blausäure kann beim Menschen den Jodstoffwechsel aus dem Gleichgewicht bringen – wer an einer Schilddrüsenunterfunktion leidet, sollte also Vorsicht walten lassen.
Einfache Zubereitung
Da die meisten Hirsesorten (außer Braunhirse) geschält und damit keine Vollkornprodukte sind, ist ihr Ballaststoffgehalt mit durchschnittlich 3,8 g pro 100 g recht gering. Es empfiehlt sich deshalb, sie immer mit frischem Obst, Gemüse oder einem Salat zu kombinieren. Die Zubereitung ist einfach: Hirse warm abwaschen und mit der 2–3-fachen Menge Wasser aufkochen, dann bei kleiner Hitze quellen lassen. Hirse schmeckt als Köfte, Klößchen oder Suppe, als Beilage oder Hauptkomponente, mit einem schönen Fond wie ein Risotto gerührt, mit oder ohne Ei im Wok gebraten, im Eintopf, Auflauf, gepoppt, als Frühstücksbrei oder als Salat. Die Varianten sind so zahlreich, dass es sich auf jeden Fall lohnt, immer etwas mehr Hirse für den Wochenvorrat zu kochen, denn sie ist auf tausend Arten wandelbar und zu jeder Jahreszeit erhältlich. Und das Beste: Sie schmeckt nicht nur in der herzhaften Variante, sondern auch süß: ganz einfach mit Banane, Nüssen und Honig oder raffiniert als Klößchen mit Kompott, wie im Rezept von Chef Alliance Koch René Müller auf den folgenden Seiten.
Schon gewusst? Auch von außen gesund
In ein Kissen eingenähte Hirsekörner können viele Beschwerden lindern. Erwärmt lindert ein Hirsekissen Verspannungen oder Menstruationsbeschwerden, eingefroren hilft es bei Prellungen oder müden Augen.