Interview mit Katharina Bäcker
Du hast Dein Philosophiestudium abgebrochen, um Köchin zu werden. Wie ist das gekommen und was hast Du damals, mit 21 Jahren gedacht, wie heute Dein Köchinnentag aussähe?
Mein Studium begann in Tübingen und es gefiel mir gut. Als ich nach Hamburg wechselte, hatte ich Schwierigkeiten mich im universitären Leben zurecht zu finden - erstens kannte ich dort niemanden, zweitens war es damals auch komplett egal, ob man zu den Vorlesungen ging oder nicht. Ich habe mir etwas mit mehr Struktur gewünscht und die Ausbildung zur Köchin angefangen. In meiner Familie wurde kaum gekocht. Meine Oma kochte, aber ungern, meine Mutter überhaupt nie, denn das war gegen die feministische Sache. Ich wollte in die Sterneküche, ich wollte in die Welt mit diesem Beruf. Und dann wurde ich schwanger.
Unsere Wege kreuzten sich 2001 in Bremen, wo ich in der Lehre war. Ich weiß noch, wie Du mit dem grünen Fahrrad und Deinem kleinen Sohn auf dem Kindersitz zum Vorstellungsgespräch kamst. Wir haben leider nur ein Jahr zusammen am Herd verbringen dürfen, dann gingst du zurück in Deine Heimat Frankfurt. Ich habe im Park geheult und angefangen, Dir Briefe zu schreiben, so richtige aus Papier – wir schreiben uns bis heute Briefe aus Papier, wer hätte das damals gedacht? 2011 hast du dann die Nachwerkstatt aufgemacht, Dein Restaurant für vegetarischen Mittagstisch. War das damals noch exotisch?
Oh ja. Es gab damals in ganz Frankfurt ein einziges vegetarisches Restaurant - und das seit 30 Jahren. Dort ging man aber nicht hin, um schön zu essen, sondern um gesund zu essen. Die Szene war noch winzig, der große Boom kam erst zwei drei Jahre später.
Deine Lehrzeit im Hamburg– war das noch so, wie man sich das vorstellt? Mit fliegenden Pfannen, schlimmen Wörtern, Drogen, Sexismus und Alkohol?
So mittel. Körperverletzungen gab es bei uns nicht, aber viele Pimmel-, Arsch- und Kack-Vokabeln, Ententitten à l’Orange und natürlich hatten wir auch ein paar Gummifotzen*. Ich musste das lernen, mich in dieser Welt zu bewegen, bis dahin war ich nie von so schön normalen Menschen ohne Abitur umgeben gewesen. Das war spannend! Gut, dass ich schon 21 war. Sexismus? Den gibt es überall, nicht nur in der Küche. Aber als sie mich in der Patisserie dann gefragt haben, wie mein Zyklus gerade sei, fand ich das befremdlich. Damals gab es das Märchen, dass, wenn Frauen menstruieren, Ei- und Buttermassen nicht binden. Und Alkohol? Sicher! Das erste alkoholische Getränk gab es schon zum Personalessen, also kurz bevor das Restaurant aufmachte. Gekokst wurde auch, da habe ich aber nie mitgemacht. Ich war eher dafür zuständig, dass im Dessertkühlschrank immer mindestens sechs Flaschen Prosecco für den Küchenchef kalt zu sein hatten, sonst wurde der nervös. War dann nicht mehr so schön, als er irgendwann von Prosecco auf Gin-Tonic umgestiegen ist.
*Anmerkung von LL: das ist ein Teigschaber aus Gummi.
Kennst Du Köch:innen, die nicht rauchen oder trinken?
………. …………….. ……………… ………………. hmm ………………… nee, warte …………… …………. …
Das dauert mir zu lange, ich frage Dich was anderes. Du hast Deinen Laden vor einem Jahr geschlossen - nach zehn Jahren, täglich im selben Raum am selben Herd. Wie fühlt sich das an und was machst Du jetzt? Wie ist, es, nicht mehr alles selbst zu bestimmen und zu verantworten?
Erst musste ich mich ein bisschen ausruhen, dann habe ich fürchterliche Angst gekriegt, dass ich nie wieder Arbeit finde, die Pandemie kam dazu. Jetzt tingel‘ ich so rum und freue mich, dass das Tingeln funktioniert, sogar finanziell. Ich werde als Freelancerin bei den unterschiedlichsten Projekten gebucht, als Gastköchin, als Beraterin und Trainerin für Gastros, die eine Umkonzipierung in Sachen nachhaltiger Arbeitsweise wünschen. Ich kann gut allein arbeiten, aber ich bin auch gut in der Brigade, arbeite meine Aufträge ab und behalte dabei den Überblick, der so manchem jungen Chef noch fehlt.
Ich kenne Dich als politisch interessierten Menschen. Wie kann man Politik auf dem Teller machen?
Im Kontakt mit den Produzenten. Ich habe Einkaufen anders gelernt. Damals kam zweimal die Woche Rungis Express und der Fisch kam von Pedersen. Das hat mich begeistert, diese spannende ganze Welt der Lebensmittel, die Vielfalt. Heute habe ich mehr Freude dran, mit dem zu kochen, was ich habe – mein Gemüsehändler schickt eine Liste mit dem, was er ernten wird, ich suche mir aus, was ich haben will und koche etwas damit. Es kommt auch nicht immer alles, dann muss ich umdenken – auch das gehört im Leben dazu. Auf die Reihenfolge kommt es an. Nicht erst die Karte schreiben und dann irgendwo bestellen, sondern andersrum. Mein Schlüsselmoment hierfür war ein Moment als Angestellte, als ich immer diese riesigen tiefgekühlten, vorgesalzenen Hühnerbrust-Tüten aus Brasilien auftauen musste – so wollte ich einfach nicht mehr arbeiten.
An diesem Wendepunkt hast Du mir geschrieben: “Ich werd jetzt reich mit Marmelade“, und begonnen, Bio-Marmelade und Kuchen im Glas online zu verkaufen. Was war denn die schönste Zeit bisher im Köchinnenleben?
Meine Lehrzeit war hart, aber eine sehr schöne Zeit. Ich denke jeden Tag daran, manchmal überlege ich sogar, meinen Küchenmeister wieder ausfindig zu machen und mich endlich mal zu bedanken. Es war wirklich eine gute Ausbildung, weil ich alle Stationen durchlaufen durfte und nicht nur Spargel schälen. Und die Zeit, als der Laden anfing zu laufen! Bis es langweilig wurde.
Warum langweilig?
Weil ich’s konnte. Und weil ich so viel gearbeitet habe, dass keine Zeit und Kraft blieb, das Ganze zu Überdenken oder weiterzuentwickeln, irgendwann war jeder Tag gleich.
Worauf wirst Du am wenigsten gern reduziert? Auf Vegetarismus – ich weiß genau, wie gerne Du Blutwurst isst – oder auf die Rote Bete, nach der Dein Laden benannt war?
Am schlimmsten war, dass ich lange für alle die Erdbeermarmelade war. Dabei esse ich nicht mal Marmelade. Das Vegetarische stört mich nicht und mit der Roten Bete bin ich fest befreundet. Weißt du noch, dass ich die früher gar nicht mochte? Ich glaube das war das erste von insgesamt drei Telefonaten, die wir beide jemals geführt haben. Ich hatte vom Bauern unaufgefordert Rote Bete bekommen und hab Dich um Rat gefragt. Du hast gesagt: „Versuchs doch mal wie ein Sri-Lanka-Curry mit Kumin, Koriander, Chili und Kokosmilch!“ Seitdem mag ich rote Bete so gern, dass ich sogar meinen Laden nach ihr benannt habe. Das war mir eine Lehre: jedes Lebensmittel hat eine Chance auf Versöhnung verdient. Meistens klappt das, wenn man es anders kombiniert als üblich und natürlich: immer wieder probieren!
Was haben Kochen und Philosophie gemeinsam?
Als ich zu kochen begann, haben die Leute gesagt: „Das ist ja was ganz anderes!“. Aber ich finde, es ist gar nicht so anders. Beides hat etwas so Wesentliches. Essen ist essenziell und die Philosophie denkt über die Grundlagen des Lebens nach.
Hast Du eigentlich Vorbilder?
Das ist aber ein großes Wort. Beim Kochen habe ich kein direktes, obwohl es so viele gibt, die mich inspirieren, die mich neugierig auf ihre Arbeit machen, wo ich mal mitmachen möchte. Mit Renate Lieb und Nina Meyer zum Beispiel würde ich unheimlich gern mal am Herd stehen. Von Dir kann ich auch immer wieder was Neues mitnehmen, aber Vorbilder würde ich das nicht nennen. Und im Leben? Meine Oma, wobei ich nicht so leben möchte, wie meine Oma gelebt hat. Aber sie hat sich gerade gemacht für sich selbst, sie hat geschaut, dass es ihr gut geht – im Rahmen ihrer Möglichkeiten.
Du darfst ein Praktikum machen – wohin geht’s?
Nur eins?! Unbedingt bei einem Fleischer. Und bei Renate. Und bei einem guten Bäcker. Und auf einem Gemüsebauernhof.
Kein Käse?
Oh, doch – das auch! Und ich möchte mal ein paar Monate im Bordeaux kochen – jetzt, wo das Kind erwachsen ist – und fließend französisch sprechen lernen.
Wieso bist Du so frankophil?
Meine Mutter hatte ein Haus in der Provence, wir haben jede Ferien dort verbracht, später dann in der Bretagne. Früher dachte ich, man müsse unbedingt für ganz dort hinziehen, davon habe ich aber Abstand genommen. Im Urlaub ist es dort traumhaft, aber ich befürchte, sobald es Alltag werden würde, würde ich feststellen, dass es dort genauso spießige und engstirnige Leute gibt, wie zu Hause.
Vorhin beim Kirschen kochen hast Du das bekannte französische Volkslied „Les temps des Cerises“ (Die Zeit der Kirschen) gehört. Das ist ja eigentlich ein Liebeslied, indem jemand verlassen wurde, aber trotzdem weiter macht und an die Liebe glaubt, obwohl er traurig ist. Nach dem Niederschlag der Autonomieregierung der Pariser Kommune bekam es eine Rolle als Protestlied, als Metapher für Hoffnung und Mut nach einer erlittenen Niederlage. Steckt da für uns als Chef Alliance Köchinnen vielleicht auch eine Botschaft drin? Ist es revolutionär, was wir tun?
Unbedingt. Wie beharrlich müssen wir sein, um jeden Tag aufs Neue Überzeugungsarbeit zu leisten? Wie oft kommt etwas anders als wir denken und wie oft werden wir auf diesem Weg missverstanden und enttäuscht? Von Gästen, die irritiert sind, warum Sachen jetzt mehr Geld kosten oder darüber, dass es auf einmal nicht mehr immer alles gibt. Von genialen Gerichten, auf die wir stolz sind, die aber erstmal kaum einer kauft, weil sie ungewohnt klingen. Davon, dass es mal wieder ein kleiner Krauter nicht geschafft hat und wir eine neue Quelle ganz von vorne aufbauen müssen? Oder von liebgewonnen Mitarbeitenden, die ihres Weges ziehen? Wir machen trotzdem weiter, auch wenn es steinig ist und mal was in die Hose gegangen ist.
Was, finde ich, dringend revolutionär anzugehen ist, wenn wir unsere Branche retten und das Menschenrecht auf „Echtes Essen“ sichern und fördern wollen, ist der ungute alte Satz „Der Kunde ist König“. Er muss aus unseren Köpfen, so schnell wie möglich, oder? Das ist ganz wichtig. Ich habe keine Kunden – ich habe Gäste. Ein Gast benimmt sich respektvoll gegenüber seinem Gastgeber. Er setzt sich an meinen Tisch, das ist etwas anderes, als sich eine Hose zu kaufen.
Du musst fliehen und Dich auf einer Insel selbst versorgen. Was nimmst Du mit? Samenfestes Saatgut für Gemüse und Kräuter für meine Grüne Sauce. Und Hühner. Vielleicht auch ein Schwein, wenn ich vorher das Praktikum beim Fleischer gemacht habe. Kartoffeln, Zwiebeln, rote Bete. Ach warte, ein milchgebendes Tier brauche ich ja auch, sonst kann ich keinen Handkäs machen. Also eine Kuh. Und Angelschnur? Ja, oder eine Reuse!
Du bist Mitglied der Chef Alliance Kommission von Slow Food. Hast Du dort eine bestimmte Zuständigkeit oder was möchtest Du bewirken?
Momentan hat die Chef Alliance noch nicht die Wirksamkeit nach außen, die ich mir für die Zukunft wünsche – dafür sind wir zu wenig Leute mit zu kleiner Kapazität in der Kommission, wir sind ja alle berufstätig und durch die Folgen der Pandemie schlagen gerade die Wellen hoch. Das soll nicht heißen, dass wir nichts bewegen – wir gehen nur kleine Schritte, was ja manchmal auch besser ist. Unsere Roadshow durch Polen im letzten Jahr – bestimmt hat die was bewirkt und auch all die Projekte innerhalb des Landes, die Festivitäten zum Tag der Nachhaltigen Gastronomie und die vielen kleinen Kooperationen zwischen unseren Chefs und ihren Produzenten. Wir wollen nicht auf Gedeih und Verderb eine Marke nach Außen werden, uns ist mindestens so wichtig die Wirksamkeit nach innen, wie wir voneinander profitieren, weil wir miteinander netzwerken. Nicht, dass ich vor meinem Beitritt zur CA bedenkenlos vor mich hin gekocht hätte, aber der Input und die Inspiration durch die Kollegen ist für mich eine Bereicherung, sie stärkt mein Selbstverständnis als Köchin. Üblicherweise ist es ja so, dass Köchinnen und Köche einander eher nicht ihre Geheimnisse verraten, damit nur keiner vom anderen abkupfert. Bei uns ist das anders – wir teilen unsere Kompetenz, um miteinander etwas zu bewegen.
Du bist Ernährungsministerin. Was sind Deine ersten Schritte?
Kochen in die Schulen, alle müssen auf den Acker und kucken, riechen und anfassen, wie was wächst. Der Lebensmitteleinzelhandel muss reformiert werden, das Essen in Altenheimen und Krankenhäusern muss ab sofort gesund machen, statt krank erhalten. Lebensmittelkonzerne müssen in dem was sie dürfen beschränkt werden. Ich würde eng mit der Landwirtschaftsministerin zusammenarbeiten, Spekulation mit Lebensmitteln unterbinden wir. In jede Stadt gehört ein Erzeugermarkt! Auch die EU-Subventionen reformieren wir – es darf nicht sein, dass gefördert wird, Hühnerabfälle nach Afrika zu schicken und dort gehen die Märkte kaputt. Die großen Ställe müssen weg! Und eine Kampagne - wie damals mit den Kondomen – wird es geben, die deutlich macht, dass Kochen zu Hause Spaß macht und ein Gewinn an Lebensqualität ist, kein Verzicht. Verzicht will heutzutage keiner mehr.
Was sind Deine heimlichen Ernährungssünden?
Oh, da habe ich schon ein paar. Aber ich will auch Spaß haben. Als Jugendliche war ich in der autonomen Antifa aktiv, jeden Sonntag um zehn war Plenum. Wenn Du das mal verschlafen hast, warst Du schon ein Feind. Und lachen durfte man auch nicht, weil der Regenwald stirbt. Ich glaube, wen man gar keinen Spaß hat, dann dreht sich auch nichts. Dann kann man auch gleich liegenbleiben.
Ist Kochen heldenhaft oder mütterlich?
Beides! Sofern du ein guter Gastgeber bist. Für jemanden zu kochen, das heißt doch immer: „Ich kümmere mich um Dich“ - an guten Tagen legen wir schon sehr viel Herz auf den Teller. Und heldenhaft ist es doch qua Arbeitszeiten, durch das Körperliche und auch das Aushaltenkönnen von Gästen, die unsere Arbeit nicht wertschätzen, das ständige Contenance bewahren in all dem Stress. Aber das Schöne ist: wir kriegen in diesem Beruf sehr schnell Resultate. Ein zufriedener Gast zeigt uns noch am selben Abend, dass die Plackerei sich gelohnt hat. Das gibt es sonst in fast keinem Beruf. Andererseits ist es auch immer wieder eine Konfrontation mit der Vergänglichkeit. Wir arbeiten eine Woche an einem Menü und zack, in wenigen Stunden ist es aufgegessen. Aber morgen ist ein neuer Tag!
Was macht Dich…
… fertig? Kollegen, die meinen, sie seien professionell und es nicht sind.
… euphorisch? Wenn alles so läuft, wie ich es mir vorgestellt habe.
… glücklich? Wenn ich meine Gäste überraschen kann und glücklich mache.
… wütend? Dummheit. Ich meine nicht, wenn jemand nicht so schlau ist, sondern wenn sich jemand absichtlich doof stellt. Und Nazis!