Interview mit Luka Lübke
Kochen ist genug Musik
Es ist lange her, dass ich das letzte Mal interviewt worden bin – ich glaube, es war im Herbst 2020 für Effilee. Ich hatte damals schon kein Restaurant mehr, in das ich die Fotografin und Autorin Elissavet Patrikiou hätte einladen können, so sind wir zu meinen Eltern aufs Land gefahren und haben Wild und Innereien gegrillt. Es war ein wunderschöner Samstag, auch weil Elissavet gute Fragen gestellt hat, nicht die blöden Standardfragen wie: »Wie bist du eigentlich darauf gekommen, Spitzenköchin zu werden?«
Katharina Bäcker: Dann fangen wir doch damit mal an. Wie bist Du eigentlich darauf gekommen, Spitzenköchin zu werden?
Sehr witzig. Spät bin ich darauf gekommen. Mein Wunsch, mit dem Fachabitur Bildhauerin zu werden, ging nicht in Erfüllung. Ich lernte Hüte machen, machte eine Ausbildung in der Bibliothek und wurde dann dreiviertelfreiwillig Modedesignerin – das war eine rasante, lehrreiche Zeit. Mir ist erst mit 28 klar geworden, was ich wirklich will. Nach einer privaten Katastrophe war ich nach Thailand in ein Schweigekloster geflüchtet. Danach war mein Kopf freier und ich probierte das erste Mal Galgant und Zitronengras. Am nächsten Tag schrieb ich meine Kündigung. Ich hatte schon immer gern gekocht, schon als ich klein war. Wenn es mir gut ging, aber auch wenn es mir schlecht ging. Ein Eintauchen in eine andere Welt, eine beruhigende, geschützte Welt. Das ist heute noch so. Wenn ich runterkommen will, koche ich.
Ich komme aus einem Dorf in Niedersachsen, meine Eltern leben heute noch dort. Es gab weder Gastronomie noch Landwirtschaft in der Familie, aber ein paar Schafe und Hunde, einen Jäger, einen Gemüsegarten, Bienenkörbe. Es wurde noch richtig gekocht, obwohl alle berufstätig waren. Wofür ich aber am dankbarsten bin, ist die Wertschätzung von Essen, die Achtsamkeit gegenüber der Natur. Ich weiß nicht, ob man das aus einem Buch ziehen kann. Wenn ich über eine Wiese gehe, weiß ich, welches Kraut ich essen könnte. Ich kann auch eine Ente rupfen und einen Fisch ausnehmen, das habe ich alles in meiner Kindheit gelernt. Die Einzige, die in der Familie beruflich gekocht hat, war meine Urgroßmutter Marie Margarete Allerheiligen. In Bremen, der Stadt, in der ich jetzt lebe. Sie hat alle Rezepte in einem Buch gesammelt, das heute in meinem Kochbuchregal steht.
Bäcker: Was hat sich in Deinem Leben geändert, seit Du Köchin bist?
Eigentlich alles. Vom Designer-Anzug in die Koch-Uniform, vom Management zur Aushilfe, die noch nicht weiß, wo der Besen steht, das ist schon was Besonderes. Stell Dir vor, Du lernst an der Bar jemanden kennen, der will wissen, was Du so machst (leider ist das immer noch eine der ersten Fragen) und Du hast bis letzte Woche »Modedesignerin« gesagt und heute sagst Du: »Ich arbeite als Aushilfe in einem Restaurant.« Glaub mir, da passieren ganz andere Dinge. Aber ich wollt es so sehr, dass mir alle Veränderungen nicht viel anhaben konnten. Mir hat es gutgetan, meine sozialen Kontakte und alten Angewohnheiten wie eine unordentliche Handtasche einmal auszukippen und wieder neu einzuräumen. Trotzdem habe ich den jungen Menschen, die bei mir eine Kochlehre machten, immer deutlich gesagt, dass sie sich bewusst sein müssen, dass Weihnachten und Silvester von nun an nicht mehr Feiern, sondern viel Arbeit bedeuten. Dass sie kaum mehr auf Geburtstagspartys eingeladen werden, einen die Freundin bzw. der Freund nicht mehr versteht und sich überhaupt das ganze Umfeld ändert. Und dass es trotzdem der schönste Beruf der Welt sein kann. Muss man aber mögen!
Aber vielleicht verbessern sich ja auch die Bedingungen. Bei meinen Interviews mit den Mitgliedern der Chef Alliance entdecke ich immer wieder neue Bemühungen und Ansätze, in der Gastronomie gute Arbeitsplätze zu schaffen. Schon aus reinem Eigeninteresse, denn anders ist kaum noch Personal zu finden. Hendrik Peek beispielsweise hat gesagt, als ich ihn zum Gasthaussterben befragte: »Es werden diejenigen überleben, die Mitarbeitende haben.« Und die lassen sich nicht mehr so versklaven, wie wir das früher getan haben, weil es vielleicht sogar eine gewisse Heldenhaftigkeit hatte. Ein harter Hund sein, der viel aushält und an seine Grenzen geht. Für diese Sache, die am Ende des Tages, wie Marco Pierre White sagte, »just food« ist.
Lotte Rose: Apropos Heldenhaftigkeit – haben Köch*innen auch Lampenfieber wie Schauspieler*innen bzw. Angst, ausgebuht zu werden?
Ja sicher. Genauso, wie wir heiß drauf sind, gelobt zu werden. Das fängt natürlich bei den Gästen an, die sich über gute Produkte und handwerkliches Können freuen, aber auch über kreative Gerichte, die ja die eigene Handschrift sind. Weiter geht es mit den Guides und den Auszeichnungen in Buchform. Die zehn Jahre, die mein Team und ich im Gault Millau standen, haben wir auf sein Erscheinen hingefiebert und uns auch mal ekelhaft gefreut, wenn jemand abgestiegen war, der es in unseren Augen verdient hatte.
Aber zurück zum Ausbuhen: Wenn sich ein Gast direkt beschwert, ist das okay, da kann ich reagieren. Was mich und meine Branche bedroht, sind die Online-Kritiken von denjenigen, die sich im Restaurant nichts zu sagen trauen und dann ihre unfundierte Besserwisserei ins Internet kotzen. Und so vielen von uns inzwischen das Geschäft verderben.
Ich sage immer noch »von uns«, obwohl ich inzwischen kein Restaurant mehr habe, sondern von zu Hause aus arbeite – mein Herd und mein Schreibtisch stehen in meiner Bremer Mietwohnung. In der Woche bin ich hier allein, am Wochenende kommt mein Partner aus Kiel dazu. Ich habe einen kleinen Balkon gegenüber einer Baumkrone, auf dem ich im Sommer arbeite, umgeben von Küchenkräutern und derzeit einem Chili-Bäumchen. An manchen Tagen probiere ich Wein und schreibe darüber oder koche ein Menü dazu. An anderen koche und fotografiere ich, für meine Kolumne »Küchen-Wirtschaft« im Magazin brand eins, für andere Auftraggeber oder meine eigene Website. Oder ich besuche Leute, zum Beispiel die Mitglieder der Chef Alliance, um sie für das Slow Food Magazin auszufragen, oder Winzer*innen und andere Protagonist*innen rund ums Essen und Trinken. Zusammen mit meiner Weinhändlerin mache ich bei ihr Weinmenüs, die »Protagonist Wein« heißen: Da bekomme ich vier Weine und koche dazu – nicht wie üblich umgekehrt. Das Schöne an meinem derzeitigen Berufsleben ist, dass es jeden Tag anders ist. Es ist ökonomisch nicht das sicherste Lebensmodell, aber mir gefällt es, dass ich nicht jeden Morgen in denselben Linienbus steigen muss.
Bäcker: Was bedeutet Dir Musik?
So viel, dass ich manchmal keine höre. Weil sie viel in mir auslöst. Meine Großväter waren beide sehr musikalisch. Es war aber nicht so, dass den ganzen Tag irgendwas dudelte, sondern da wurde ganz bewusst eine Platte aufgelegt und dann war Händel da. Oder James Last. Ich habe Geige gespielt als Mädchen, sogar im Orchester. Aber als ich mit 17 von zu Hause aus- und in eine Mietwohnung umzog, musste ich aufhören.
Beim beruflichen Kochen habe ich nie Musik gehört. Ich finde, Kochen ist genug Musik, in die möchte ich eintauchen. Und mal ehrlich: Wenn sechs Leute mit unterschiedlicher Lieblingsmusik in der Küche arbeiten, wie oft hörst Du dann was, was Dich nicht fertig macht? Bei mir war immer Musikverbot in den Küchen. Privat ist das etwas anders. Wenn ich heute für Freunde ein, sagen wir, griechisches Menü koche, dann höre ich schon etwas Inspirierendes dazu. Neulich gab es ein Weinmenü zum Thema »La Boum«, mit einer extra nostalgischen Playlist. Das bringt mich auf eine Idee: Vielleicht sollte man mal ein Sprechgesang-Weinmenü veranstalten!
Wein ist für mich mit den Jahren ein immer wichtigeres Thema geworden. Mein Kollege Bernd Ratjen hat mal gesagt: »Ich finde es Verschwendung, Bier zu trinken, weil im Bier keine Reise drin ist.« Das ist für mich ein schönes Bild, auch wenn ich mir ein Leben ohne Bier schlecht vorstellen kann. Als ganz junge Frau kam mir vornehmer vor, Wein zu trinken. Also probierte ich, kaufte mir sogar Bücher darüber. Aber so richtig rein kam ich nicht, was ich mir heute so erkläre: a) ich habe zu wenig Geld ausgeben können und b) ich habe allein probiert und niemanden gehabt, um darüber reden zu können. Die Sprache der Weinhändler und selbst die der einfachsten Kellner flößten mir Respekt, aber auch Hemmungen ein. Das ging erst weg, als ich damals mit dem ersten Restaurant ins kalte Wasser sprang und mich um den Weineinkauf kümmerte. Schmecken und assoziieren konnte ich schon immer gut, dann musste ich auch lernen, darüber zu sprechen. Ich hatte einen Souschef, der mir half, wir sprachen über alles, was wir tranken, gingen auf Messen und geführte Verkostungen. Ich habe gelernt, dass es okay ist, in meinen eigenen Worten zu sprechen. Heute mache ich Probierveranstaltungen mit Menschen, denen es ähnlich geht. Ich vermittle, dass es kein richtig und falsch beim Geschmack gibt. Schmeckt Dir ein Wein nach Gitarre oder Flohhalsband? Super! Was noch?
Bäcker: Was möchtest Du noch lernen?
So vieles, da reicht der Platz hier vermutlich nicht. Über Käse wüsste ich gern mehr und über Wurst, über Wein sowieso, etwas töpfern möchte ich, nach Japan und Georgien reisen, Akkordeon spielen hätte ich gern gelernt. Hätte. Die Vorstellung, etwas »ausgelernt« zu haben, ist schrecklich für mich. Andererseits merke ich inzwischen auch, dass ich mehr Innehalten möchte und das auskosten will, was da ist. Aber auch das muss ich noch lernen…
The perfect day? Vielleicht kann ich mal aufhören, mir den immer in Gestalt von Arbeit vorzustellen. Ich koche so gern! In Wirklichkeit wäre es aber auch nicht verkehrt, davor schon im Meer geschwommen zu sein. Oder sich auf ein Glas Weißwein zu freuen, über das man nichts schreibt.
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