Interview mit Tilo Hamann

Nur im Doppelpack: An der sächsischen Weinstraße liegt in Radebeul-Zitzschewig fast ein wenig versteckt das verwunschene Restaurant »Gaumenkitzel«, das Tilo Hamann mit seiner Ehefrau Manuela betreibt. Luka Lübke hat die beiden besucht, im Sommergarten ein feines Menü gegessen und sich durch die Weinwelt Sachsens probiert. Und natürlich hat sie dem Chef Alliance Koch auch viele Fragen gestellt.

Tilo und Manuela Hamann4 c Luka Lübke.jpgWo habt ihr euch kennen gelernt?
In Oberfranken. Das Landgasthaus, in dem ich gelernt habe, war damals eines der ersten Slow Food Restaurants in der Region. Pflanzen und Tiere kamen aus eigener Erzeugung, es wurde selbst geschlachtet, gewurstet und gesülzt – auch Pferd. Zu verdanken hatten wir das der Wirtshaustochter, unserer Chefin. Die hatte zuvor als Souschefin auf Gourmet-Flaggschiffen wie dem Vier-Jahreszeiten gesegelt und wollte eigentlich nicht nach Kronach zurück. Aber zusammen mit ihrem österreichischen Mann stellte sie die Weichen, die schließlich die Kombination aus Fine Dining und Wirtshaus auch ökonomisch möglich machten. So entstand ein Gourmet-Restaurant mit 40 Plätzen, aber ein kleines Wirtshaus lief weiter nebenher und bot traditionellen fränkischen Mittagstisch. Außerdem gab es einen Saal für Feste bis zu 200 Personen.

Wie bist Du dorthin geraten?
Ich bin in Dresden geboren und nach der Wende gab es in unserer Gegend keine Ausbildungsplätze. So schrieb ich 80 Bewerbungen in Deutschlands Restaurantwelt hinaus. Bei den zehn, die mich am meisten interessierten, arbeitete ich zur Probe. Bei fast allen beschränkte sich das aufs Zuschauen und Putzen, wobei sich letzteres nicht nur aufs Gemüse bezog. In Kronach durfte ich zumindest schon mal etwas anrichten, sie ließen mich hinein in ihre Welt, so ein Führungsstil war neu. Schon im zweiten Lehrjahr durfte ich mein mis en place selbstbestimmt einteilen. Ich konnte kommen, wann ich wollte – Hauptsache, alles war rechtzeitig fertig. Was nicht heißt, dass es nicht trotzdem bis zu 16-Stunden-Tage gab. Auch im Stall wurden wir einbezogen, von der Geburt bis zur Schlachtung. Da habe ich Wertschätzung gelernt.

Und nach der Lehre?
Da war ich Angestellter und bin meinen Vorgesetzten mit meinen vielen Fragen und Anregungen auf die Nerven gegangen. Ich wusste oft, wie es besser, also nachhaltiger, geht. Und weil ich gut war, habe ich auf meinem Weg auch einiges durchsetzen können. Weg von all den exotischen Produkten, hin zu mehr regionaler Erzeugung. Irgendwann kam der Punkt, an dem Manuela und ich uns entscheiden mussten, ob wir weiter Karriere in der Sternegastronomie machen oder eine Familie gründen wollten. Wir haben uns für die Familie entschieden und ein Kind bekommen. Wir gingen zurück nach Sachsen in die Nähe von Bautzen, wo ich neun Jahre lang in einem Mittelalter-Restaurant arbeitete. Einfache Küche gab es dort, aber alles war selbstgemacht. Nach den ersten Jahren hatte ich, obwohl ich einer von fünf Leuten in der Küche war, es geschafft, dass wir fast alles auf regionale Erzeugung umgestellt hatten. Dann kam unsere erste Selbständigkeit, das »Erbgericht« in Eulowitz.

Erbgericht? Was ist das denn für ein Name?
So hießen früher viele Gasthäuser in der Oberlausitz, weil die Dorfobersten sowohl die Gerichtsbarkeit als auch die Schanklizenz innehatten, oft fand beides unter einem Dach statt.

Eigentlich schade, dass das heute nicht mehr so ist...
(Hamann lacht.) Jedenfalls haben wir das dann übernommen von einer Kollegin, die es aus persönlichen Gründen abgeben wollte. Dort haben wir zu 100 Prozent regional und saisonal gearbeitet. Das hat gut funktioniert, denn aus den in der DDR gesponnenen lokalen Verbindungen war ein Erzeugernetzwerk von 70 bis 80 produzierenden Betrieben entstanden, das hieß »Die Lausitz schmeckt«. Heute gibt es das leider nicht mehr, denn, wie so oft, wurden an mancher Stelle die Marketingvorteile der Organisation gern genutzt, aber dabei wenig aktiv getan und sich nicht an die Regeln gehalten.
Es gab allerdings auch etwas, was beim Erbgericht nicht gut funktioniert hat: Unser Vermieter war die Gemeinde – und die hat die Caterings bei Veranstaltungen im Saal an andere Gastronomiebetriebe vergeben, was sich nicht immer positiv auf unseren Ruf auswirkte. Und die Einnahmen fehlten uns natürlich auch.

Aber das Kind habt ihr trotzdem groß gekriegt?
Natürlich. Stell Dir vor, er ist heute Restaurantfachmann! Wir haben dann ein weiteres Projekt dazu genommen, die »Tanne«, ein Lokal aus drei Häusern mit acht Zimmern und Saal. Der Plan war, dass wir das »Erbgericht« noch vier Jahre weiterlaufen lassen, bis der Pachtvertrag auslief. Aber der Plan ging nicht auf, wir haben uns übers Ohr hauen lassen. Plötzlich standen wir vor unvorhersehbaren Kosten in einer Höhe, die mich zwang, in die Insolvenz zu gehen. Danach gab es noch ein paar Stationen als angestellter Küchenchef – zuletzt im Schlosshotel Dresden-Pillnitz, mit einem 16-Punkte-Restaurant nach Gault-Millau, für das ich regional einkaufen durfte, aber auch mit einem Bistro, bei dem die gleiche billige Einkaufsphilosophie wie seit Jahrzehnten durchgezogen werden sollte. Ich verstehe so etwas nicht – warum kauft man denn nicht ein ganzes Rind und verwendet es so, dass alle Betriebszweige damit abgedeckt werden? Klar kostet das Zerlegen Zeit und Fachkompetenz. Aber am Ende geht die Rechnung doch auf und ich bezahle nicht mehr, als wenn ich beim Großhändler eine mittelmäßige Qualität einkaufe.

Und dann kam die Anfrage für Radebeul-Zitzschewig?
Sie wollten mich als Küchenchef. »Mich gibt es nur im Doppelpack«, habe ich gesagt – und so haben wir beide hier angefangen. Die Eigentümer, zwei Winzer, hatten hier ein feines Gourmetrestaurant laufen. Das keiner so recht verstand und das dementsprechend auch wenig einträglich lief. Manuela und ich konnten es dann unter der Bedingung übernehmen, ausschließlich die Weine der beiden Weingüter auszuschenken.

Auf der Landkarte des Chef-Alliance-Netzwerks bis Du einer der Wenigen aus den östlichen Bundesländern – obwohl es, gerade in Sachsen, so viele gibt, die etwas bewegen im Sinne des Slow-Food-Gedankens.
Ja, das ist so schade! Vielleicht sind wir hier einfach verwöhnt und empfinden das, was wir tun, nicht als etwas Besonderes. Die regionalen Strukturen aus der DDR sind einfach immer noch da, alle kennen sich noch untereinander. Wir sind es gewohnt, miteinander zu reden statt unser eigenes Ding zu machen. Und in Sachsen stehen wirklich viele regionale Lebensmittel zur Verfügung: Wir haben Felder, Wiesen, Seen, Wälder und Gebirge. Nur das Meer fehlt.

Könnte es auch daran liegen, dass es ein gewisses »sächsisches Understatement« gibt? Zum Beispiel ist mir auf eurer Webseite aufgefallen, dass es dort kein Foto von euch gibt. Dabei seid ihr doch die Menschen, die das Lokal ausmachen.
Es stimmt, Angeberei liegt uns hier nicht. Gastgebende zu sein, das ist einfach Herzenssache. Bei uns geht keiner hungrig nach Hause, auch wenn es spät ist. Wir machen dann nicht mehr das volle Programm, aber eine Kleinigkeit gibt es immer.

Gehen Euch Gäste denn nie auf die Nerven?
Nein. Schade ist nur, wenn sie nicht verstehen, was wir machen. Wir wissen hier schon, wo wir sind und dass unser Publikum keine Miniaturportionen akzeptiert – daher haben wir auch normal große Hauptgänge. Und trotzdem: Es geht bei uns nicht nur darum, satt zu werden. Wer bei uns isst, tut auch seinem Körper etwas Gutes. Jeder Gang bei uns beinhaltet zum Beispiel etwas Fermentiertes – sogar die Desserts. Um die volle gesundheitliche Wirkung unseres Essens zu bekommen, sollte man schon drei Gänge essen. Darum haben wir unsere Menüstruktur auch sehr offen gelassen, jeder Gast kann es sich selbst zusammenstellen. Trotzdem möchte ich mir die Freiheit nicht nehmen lassen, zum sächsischen Sauerbraten mal nicht geschmortes, sondern roh fermentiertes Kraut zu geben.

Auf der Chef-Alliance-Seite schreibst Du, Fermentieren sei Deine Spezialität. Wie ist es dazu gekommen?
Das hat schon meine Oma gemacht. Über dem Badeofen standen immer auf einem Holzbrett die großen Gläser mit Kraut und fermentiertem Gemüse, denn dort war es wärmer als im Rest des Hauses. Oma hatte sogar eine Kefir-Kultur – vermutlich hatte jemand im Bekanntenkreis einen guten Draht zu den russischen Lebensmittelgeschäften. So richtig tief reingehängt habe ich mich aber erst zur Corona-Zeit: Manuela hat mir das Fermentationsbuch vom »Noma« geschenkt und wir hatten viel Zeit zum Experimentieren.

Wolltest Du schon als kleiner Junge Koch werden?
Hm, ja… oder Rechtsanwalt! Aber für Rechtsanwalt hatte ich zu viel Leidenschaft. Auf jeden Fall wollte ich schon immer Menschen etwas Gutes tun. Das mache ich jetzt. Und zwar für den Körper und für die Seele.

Was sind Deine Glücksmomente beim Kochen?
Wenn es schmeckt. Wenn jemand sagt: das ist Geilste, was ich in den letzten 40 Jahren gegessen habe.

Habt ihr manchmal Sehnsucht nach anderen Orten in der Welt?
Irgendwann möchte ich mal einen Winter nach Asien. Aber die nächste Reise geht nach Mexiko, dort besuchen wir »unsere« Kaffee-Plantage. Es ist natürlich nicht unsere, sondern gehört Leuten, mit denen wir befreundet sind. Kaffee ist mein Lieblingsgetränk, sogar zum Feierabend. Wir wollen mal selber sehen, wo er wächst und bei der Ernte mithelfen.

Webseite:
www.gaumenkitzel-radebeul.de

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