Interview mit Christoph Hauser
Was wolltest Du werden, als Du klein warst?
Maler, wie mein Vater Christian Hauser, der mir als Schüler riet: „Mach doch Dein Schulpraktikum woanders, Maler wirst Du noch Dein ganzes Leben sein“. So fand ich einen Praktikumsplatz im Restaurant und wusste, was ich wirklich werden will. Das war der Niedergang der beruflichen Wünsche meines Vaters für mich und der Beginn meiner Küchenkarriere.
Was ist das Besondere an Eurem Restaurant Herz und Niere?
Dass wir jede Zutat auf Herz und Niere prüfen. Es ist nicht allein, dass wir nose to tail und root to leaf kochen, wir sind auch kein reines Innereien-Restaurant. Es ist vielmehr jede einzelne Zutat, vom selbst angebauten Gemüse bis hin zum eigenen Essig, die uns ausmacht - wir kennen die Geschichte und die Herkunft jedes einzelnen Produkts. Und natürlich unsere Gäste, die eine spannende heterogene Mischung aus aufgeschlossenen, wissbegierigen jungen Foodies und älteren, in kulinarischen Kindheitserinnerungen schwelgender Älterer ist. Wir bringen Dinge auf den Tisch, die man entweder noch nie, oder sehr lange nicht mehr gegessen hat.
Wie ist nose to tail zu Dir gekommen oder war es schon immer da?
In den Hotels, in denen ich gearbeitet habe, wurde vorwiegend auf traditionelle französische Küche gesetzt, da ist das noch ganz normal, dass alles vom Tier verwendet wird, nicht nur die sogenannten Edelteile.
Bezeichnest Du Dich als erfolgreich? Wenn ja, wo liegt der Erfolg?
Ja! Ich hinterfrage alles und will alles wissen. Dadurch werde ich immer besser. Die letzten 6 ½ Jahre Herz und Niere waren eine Bilderbuchgeschichte, aber für mich ist Erfolg nicht an Besitz oder Bankkonto zu sehen, sondern an Momenten wie dem, als eine ältere Dame mir im Restaurant sagte, die Schweineniere habe sie zu Tränen gerührt.
Wie habt Ihr den Lockdown im Frühjahr überstanden?
Wir waren damals mit die ersten, die Mahlzeiten für zu Hause eingekocht und verkauft haben, da haben die Menschen hier Schlange gestanden. Wenn man ein Rind ganz verarbeitet, fällt ohnehin viel Fleisch an, was sich prima zu Bolognesen und Ragouts verarbeiten lässt. Oder Königsberger Klopse - das ist unser Renner, weil kaum jemand mehr den Aufwand betreibt, sie sich zu Hause zu machen. Und natürlich war auch Zeit zum Nachdenken da. Über die Zukunft und ob es ein Leben lang so weitergehen soll. Oder ob es noch mehr zu tun gibt in der Welt. Auch der Entschluss, ein neues Kapitel zu beginnen und das Herz und Niere zum Jahresende zu schließen, fiel in diese Zeit. Ich möchte in Zukunft freier arbeiten, unterschiedliche Dinge tun, nicht so fest an einem Arbeitsort kleben, sondern dazulernen. Und auf mehr private Zeit mit meinem Partner freue ich mich natürlich auch! Wir haben etwas Großartiges geschaffen mit dem Herz und Niere. Jetzt ist Zeit für etwas anderes. Aus freien Stücken – nicht, weil wir müssten, wie es leider gerade vielen anderen Kollegen geht. Ich habe überhaupt keine Angst vorm nächsten Jahr!
Wenn Du ein Lebensmittel wärst, welches wärst Du?
Die Frage gefällt mir gut! Darf ich zwei sein? Rosmarin, weil er unkaputtbar ist. Als Aromageber und auch als Pflanze, er ist winterhart und langlebig – ich mag langlebige Dinge. Und Schwarzwurzel, die gräbt sich tief nach unten ein und sucht sich ihren Weg – so wie ich.
Ist für Dich der Pilz ein Tier oder eine Pflanze?
Für mich ist er das beste Fleischersatzprodukt, das es gibt. Ich halte nicht viel von industriell hergestellten Substituten, der Pilz erfüllt diesen Zweck sowohl vom Mundgefühl her als auch nährstofftechnisch perfekt.
Was war das bedeutsamste Menü für Dich, das Du je gekocht hast?
Ich werde es noch kochen! Es wird das Abschlussmenü des Herz und Niere Ende Dezember sein, bei dem wir noch mal richtig Gas geben und nicht nur die Highlights der letzten Jahre zelebrieren, sondern ich auch Sachen servieren, die ich noch nie gekocht habe. Zum Beispiel aus Holzäpfeln und Holunderknospen, die ich selbst gesammelt und konserviert habe oder ein Eis aus Essigmutter.
Wie beschreibst Du Deinen Küchenstil?
Ausgewürzt und einreduziert. Ich mag nicht, wenn’s Larifari schmeckt. Wenn ich Röstkarotte sage, dann ist die auch geröstet und nicht blanchiert. Und natürlich ganzheitlich. Ich bin dieses Jahr sehr viel im Wald unterwegs gewesen und freue mich über jede Beere, jeden Pilz und jedes Kraut, das ich neu entdecke, auch wenn es nur winzige Mengen sind.
Wie bist Du zum Slow Food Netzwerk/zum Chef Alliance-Netzwerk gekommen?
Den Grundstein hat Andrea Lenkert-Hoerrmann gelegt, als sie mich und meinen Namensvetter Christoph Hauser aus Regensburg 2015 einlud, den Bio-Empfang für die Grüne Woche zu kochen. Das sprach sich herum, dass zwei Chefs mit dem gleichen Namen kochen und so lernte ich Jens Witt kennen, den Sprecher der Chef Alliance Deutschland.
Hast Du oder hat unsere Branche etwas mit Pilzen gemeinsam? Können wir von ihnen lernen?
Es gibt dazu eine schöne Geschichte meiner Kollegin Viktoria, die regelmäßig zu einer beliebten Pilzstelle nach Brandenburg fährt. Dort auf dem Land gilt das ungeschriebene Gesetz: Nie alles nehmen, immer was für die anderen stehen lassen! Und dadurch, dass der Pilz, den wir sehen, längst nicht das ganze Lebewesen ist: Wenn Du kaputt gehst, kannst Du wieder aufstehen!
Deine Gäste: Wer ist das? Wofür liebst Du sie? Womit nerven sie Dich?
Unser Publikum ist eine erfreuliche Mischung aus jungen und alten, neugierigen und nostalgischen, insgesamt sehr selbstbewussten und vertrauensvollen Menschen. Manche kommen einmal im Monat, manche nur drei Mal im Jahr, sie alle bezeichne ich als Stammgäste. Ich bin glücklich, dass sie mir ein solches Vertrauen entgegenbringen – im Herz und Niere gibt es nur noch Überraschungsmenüs, der Gast sagt uns lediglich, was er nicht mag. Und mir gefällt, dass sie auch ehrlich sagen, wenn ihnen mal was nicht gefällt. Was mich stört an ihnen ist glücklicherweise etwas, was hier so gut wie nie vorkommt: herablassender Umgang mit unseren Mitarbeitenden.
Hast Du „Arbeitslebenszeit“? Ist alles eins oder gibt es zwei parallele Leben?
Ich nehme mir soviel Zeit wie möglich für mein Privatleben. Glücklicherweise hat der Mensch, mit dem ich heute zusammenlebe, auch gastronomische Wurzeln, sodass er viel Verständnis für berufsbedingte Unregelmäßigkeiten hat – trotzdem freue ich mich sehr aufs nächste Jahr, wo wir mehr Zeit miteinander verbringen können.
Bist Du „angekommen“ in Deinem Leben?
Ja. Und zwar in dieser Stadt. Ich möchte nie wieder weg aus Berlin, obwohl ich als junger Koch eher zufällig hierher geraten bin. Viele sagen, in den Jahren zwischen 20 und 30 entscheidet sich alles. Ich sehe das anders. Wir haben im Gegensatz zu unseren Eltern das Glück, uns immer weiter wandeln zu können. Ich definiere mich nicht über Besitz, ich brauche kein teures Haus, das mich bindet. Mein Luxus ist, zu tun was ich möchte, mit wem ich möchte. Lieber als für physische Dinge gebe ich mein Geld für schöne Erlebnisse aus. Ein Wochenendausflug oder auch mal ein festliches Dinner, diese vergänglichen Dinge sind es, die für immer bleiben und mich reich machen.
Welcher Mensch/welche Menschen hat Dich als Koch am meisten inspiriert?
Da gibt es viele. Angefangen bei meiner großen Schwester über viele Chefs, die mich während meiner Laufbahn geprägt haben. Aber auch Produzentinnen, wie zum Beispiel Maria Mundry, unsere Rinderzüchterin, die neben ihrem Fulltimejob, ihrer Familie mit vier Kindern und Hausbau 50 schwarze Kühe auf der Weide stehen hat. Sie hat so viel Power! Mich inspirieren Menschen, die viele Dinge machen und sich nicht unterkriegen lassen, ihren Weg weiterlaufen, egal wie steinig er ist.
Was ist Heimat kulinarisch? Wie schmeckt das?
Das ist einfach zu erklären anhand eines Buchprojektes, das ich zusammen mit den Betreibern von „Vom Einfachen das Gute“ gemacht habe, es heißt: Unser kulinarisches Erbe und ist eine Sammlung von Rezepten aus Seniorenheimen. Ich meine, unsere kulinarische Heimat ist den Köpfen der Alten zu finden und dass es unsere Aufgabe ist, dieses Wissen jetzt zu retten, um es vor dem Untergang zu bewahren. Für mich ganz persönlich schmeckt Heimat wie die Spätzle mit Linsen oder die Königsberger Klopse, wie meine Mutter sie macht. Mit Erbsen und Kartoffelstampf.
Was trinkst Du zum Feierabend?
Im Laden trinke ich meistens ein Pils aus Traunstein, zu Hause brauche ich dann noch mal was Warmes: Fenchel-Anis-Kümmeltee!
Interview geführt von Luka Lübke