Weisslacker und Allgäuer Milchwirtschaft
Die Erfindung des Weißlackers als Sonderfall in der Geschichte der Allgäuer Milchwirtschaft
Der Weißlacker hat eine Ausnahmestellung in der Allgäuer Milchwirtschaft: Er ist der einzige authentische Käse des Allgäus, er wurde nach seiner Erfindung für 15 Jahre patentiert und ist ein geschmackliches Original.
Ein kurzer historischer Rückblick soll die Zusammenhänge andeuten:
Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts spielte die Käseerzeugung im Allgäu eine geringe Rolle. Die wenigen Quellen (z.B. St. Gallen) berichten von der Herstellung eines fettarmen Käses aus Sauermilch, dem so genannten „Ziger“. Die Milch wurde damals vorwiegend zu Butter oder Schmalz verarbeitet. Während die Täler und niedrigen Lagen durch Feldbau und Viehhaltung geprägt waren, spielte die Milch auf den höher gelegenen Alpen eine gewisse Rolle. Es wurde vorwiegend für den Eigenbedarf produziert.
Den großen Wandel brachte das 19. Jahrhundert: Der Feldanbau (u.a. Flachs) wurde durch die zunehmende Bedeutung der Baumwolle unrentabel. Die Überwindung der ökonomischen Kleinstaaterei schafft große Wirtschaftsräume. Die Entwicklung eines leistungsfähigen Verkehrs und Transportwesens sorgte für regen Warenaustausch und begünstigte damit einen großräumigen Absatz.
Es verwundert daher nicht, dass die ersten Niederlassungen von Käsegroßhändlern nicht lange auf sich warten lassen. Voraussetzung ist natürlich die Produktion von handelsfähigen Käsesorten auf der Basis der Einlabung. Zwei Persönlichkeiten haben sich historisch Verdienste erworben:
Josef Aurel Stadler (1778 – 1837) ließ erstmalig in einer Dorfsennerei Rundkäse nach Art des Emmentaler Alpkäses herstellen. Mit Hilfe Schweizer Senner gelingt die Produktion von großen, transportgeeigneten- und handelsfähigen Hartkäsen. Der erste Schritt zu einer modernen, am Absatz orientierten Spezialisierung war damit getan.
Karl Hirnbein (1807 – 1871) brachte aus den Niederlanden (Belgien) den Weichkäse Limburger Art in das Allgäu und begründete damit die Weichkäseherstellung.
Durch die bereits im 18. Jahrhundert begonnene Arrondierung von landwirtschaftlichen Flächen (Vereinödung) wurden die ökonomischen Voraussetzungen für den Wandel vom blauen (Flachs) zum grünen Allgäu geschaffen. Der Allgäuer Käse feierte für lange Zeit Erfolge und erfreute sich wegen seiner Qualität einer großen, weiträumigen Nachfrage. Rückschläge blieben freilich nicht aus; Während der großen Depression der 1870er Jahre (Gründerkrise) sanken Absatz und Qualität erheblich. Limburger Käse von schlechtem Geschmack und einem bedauerlichen Fettgehalt (10%) war keine Seltenheit. Die geringe Haltbarkeit war ein zusätzliches Problem.
In diese Zeit fiel die Erfindung des Weißlackers! Es waren die Gebrüder Josef (1821 – 1908) und Anton (1831 – 1914) Kramer, die einen erfolgreichen Weg aus der Krise fanden. Man sollte sich unter den beiden Kramers keine kauzigen Ureinwohner vorstellen! Josef war ein angesehener Käser aus der Schule Karl Hirnbeins und ein überaus geschickter und angesehener Großhändler. 1867 gründete er mit seinem Bruder das Käsegroßhandelsunternehmen Kramer & Co in Wertach. Josef Zeller berichtet in seiner Wertacher Chronik :“Die Gebrüder Kramer waren nicht nur selbst gute Käser, die in der Sennerei ihr Fach verstanden, sondern auch solide, unternehmungslustige Milchkäufer und Käsehändler, die es von kleinen Anfängen bald durch Fleiß, Tüchtigkeit und Sparsamkeit zu ansehnlichem Vermögen brachten.“ Sie bezogen Milch in weitem Umkreis; die vertraglichen Beziehungen bestanden oft jahrzehntelang, was für die Seriosität des Unternehmens spricht!
Als sich die Absatzprobleme – vor allem für den schlecht haltbaren „Rotschmierer“ - auswuchsen, versuchten die Brüder die Herstellung einer neuen Käseart, die durch stärkere Salzzugabe bei höherem Fettgehalt eine bessere Haltbarkeit als die üblichen Weichkäsesorten garantieren sollte. Diese Versuche erwiesen sich als sehr erfolgreich! Wegen seiner helleren Farbe und der glänzenden Oberfläche war die Bezeichnung „Weißlacker“ ein Name, der sich auch für eine Patentierung anbot (1876). Der erste und einzige autochthone Käse des Allgäus war geboren und erfreute sich wegen seines charakteristischen Duftes und Geschmacks z.B. in Münchner Biergärten einer außerordentlichen Beliebtheit.
Quelle: „Geschichte der Allgäuer Milchwirtschaft“, Kempten 1955