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Warenkunde Brot

Vortag von Jochen Hoss zum Thema Brot auf unserem Schneckentreff am 27.01.10 :


Liebe Slow Foodies,
Willkommen heute Abend zum Schneckentreffen in den Räumen der Fa. GData, der wir ganz herzlich für die Gastfreundschaft danken.
Unser heutiges Thema ist: „Kniffte, Stulle, Butterbrot“ . Das kennt jeder, hat jeder, täglich, schon das ganze Leben. Also eine banale Sache? Lassen Sie sich nicht irreführen. Bei den Vorbereitungen zu diesem Abend merkten wir, daß es sich um einen ziemlich tiefgründigen Aspekt der Esskultur handelt.
Ganz kurz ein bischen Geschichtliches: erste literarische Erwähnung des Butterbrotes war bei Vergil, Aeneas wurde geweissagt, daß er sich dort niederlassen würde, wo er und seine Gefährten den Teller vor Hunger mit aufessen würden. Und mit „Teller“ war der Brotfladen gemeint, auf den zum Essen das Fleisch gehäuft wurde.
Der Ursprung unseres heutigen Butterbrotes liegt im deutschen Kulturkreis. Vieles in der deutschen Kulinarik im Unterschied zu anderen Kulinariken ist in der Butterbrotkultur begründet: die vielen Brotsorten in Deutschland, die Arten von Streichfett, Kochwurst usw., auch Equipment der Esskultur wie Butterdosen, Butterbrotpapier, Butterstreichmesser. Übrigens fällt die südliche Verbreitungsgrenze des Butterbrotes mit dem Röstigraben zusammen, also der germanisch-romanischen Sprachgrenze.
Auch Goethe erwähnt Butterbrote, sein Werther berichtet, daß er mit den Kindern seiner Angebeteten Butterbrot und Buttermilch gegessen habe. Dadurch wollte er eine familiäre Nähe zu den Kindern ausdrücken. Das gilt eigentlich auch heute noch. Eine Einladung zum Abendessen mit selbstgeschmierten Butterbroten ist ungleich intimer als eine warme Mahlzeit mit mehreren Gängen.
Wir kommen damit gleich zur Definition: Butterbrot ist eine Scheibe dunkles Brot, darauf Streichfett und verschiedene Beläge, im Unterschied zu hellem oder Weissbrot. Die feinere Upper Class- oder Party-Variante ist das Schnittchen, immer helles Brot, niemals zusammengeklappt meist irgendwie dekoriert. Erwähnt sei Tramezzino aus Italien, das Sandwich – jeder kennt die Anekdote vom spielsüchtigen Lord Sandwich, der von seinen Dienern, um das Spiel nicht unterbrechen zu müssen, zwei Scheiben entrindetes Weisbrot mit Belag in die Hand gedrückt bekam. Übrigens hat auch das Schnittchen Eingang in die höhere Kunst gefunden:
Das Butterbrot ist ein Topos in der darstellenden Kunst und in der Literatur. Herr Hape Kerkeling, übrigens eine Kind des Ruhrgebietes, gründete in einem seiner Filme einen Schnittchenservice. Zentrale Geschäftsidee war, daß zu verschiedenen Anlässen wie Hochzeit, Beerdigung usw. unterschiedliche Schnittchen-Typen passen. Leider kommt es im Laufe der Filmhandlung zu tragischen Verwechslungen, etwa wenn die Schnittchen für eine Taufe versehentlich zu einer Beerdigungsfeier geliefert werden und umgekehrt.
Das Dekorieren des Schnittchens kann bis zur ästhetischen Überhöhung gehen. Man erinnere sich an den Party-Vorschlag des Dr.Oetker-Kochbuches der 50er-Jahre: Schwarzbrot und Holländerkäse werden abwechselnd geschichtet. Dann werden Dreiecke daraus geschnitten, eine Salzstange wird hinein gepiekst und auf diese eine Zwiebelschale gesteckt, und schon hat man Schiffe unter Segeln auf seinem kalten Buffet. Mit Mayonnaise oder Senf aus der Tube werden hübsche Dekorationen aufgespritzt, die Industrie baut in die Tuben extra eine gezackte Öffnung, damit der Majonnaise- respektive Senfstrang gerillt ist.
Ein verwandtschaftliches Verhältnis besteht zum Smörrebrot der Dänen. Dieses ist sozusagen das Luxuskind des Butterbrotes. Das Smörrebrot kam erst recht spät auf, im 19ten Jahrhundert, als die allgemeine Esskultur in Dänemark nicht mehr so sehr von der Entsagungs- und Verzichtphilosophie des Protestantismus geprägt war. Beim Smörrebrot kommt es von Anfang an mehr auf die Vielfalt und den Reichtum des Belages an. Wer einmal in einem dänischen Smörrebrot –Laden war, kann die deutschen Baguetterien, Sandwichtheken usw. nur als ärmlich bezeichnen.
Am Rande möchte ich noch darauf hinweisen, daß das Butterbrot an sich eine anarchische Speise ist. Das Butterbrot kommt in allen Schichten vor, im Unterschied etwa zum Fleisch, besonders gebratenem Fleisch, das sich früher nur Reiche leisten konnten. Der absolute Kontrapunk t zur Butterbrotküche ist dann wohl die koschere Küche mit ihren harschen Einschränkungen. Butterbrote können und sollen mit den phantasievollsten, erstaunlichsten Kombinationen belegt werden. Als Kind lernte ich in den Alpen einen Hütejungen kennen, der als Lieblingsbelag auf seinem Brot dicken halb zerlaufenden Ziegenkäse und darauf Honig hatte. Ich war damals sehr befremdet. Heute sage ich, der Junge war ein Gourmet. Eine meiner eigenen Lieblingskombinationen als Kind war übrigens süßer Rosinenstuten mit grober Leberwurst.
Ideal ist das Butterbrot auch zur Resteverwertung. Bei uns zu Hause war es beispielsweise üblich, Reibeplätzchen oder gebratene Kartoffeln vom Mittag abends auf Brot zu essen. Die Luxusvariante war übriggebliebener kalter Braten, dünn aufgeschnitten mit Meerrettich oder Senf bestrichen.
Das Butterbrot ist eine Vollmahlzeit! In variierenden Anteilen enthält ein Butterbrot alles, was ein Mensch zur vollwertigen Ernährung braucht: Kohlenhydrate, Fett, Eiweiß, Vitamine, Mineralien usw. Hinzu kommt: das Butterbrot ist leicht verdaulich.
Das Butterbrot ist praktisch! Es braucht nicht unbedingt ein Equipment wie Teller, Besteck usw. um verzehrt werden zu können, das klappt sogar im Gehen mit der sog. Klappstulle. Es wird anlassgemäß belegt, z.B. können tropfende Saucen vermieden werden, stückige, krümelige Beläge können mit Hilfe des Streichfettes auf die Brotscheibe geklebt werden.
Unser heutiges Thema ist das klassische, familiäre Butterbrot, wie es im Ruhrgebiet verbreitet war und ist.
Sie finden verschieden Brotsorten, Streichfette, z.B. Schmalz, klassische süße Aufstriche wie Apfelkraut, Konfiture, und natürlich die herzhaften Beläge die hier im Ruhrgebiet traditionell sind: Lammwurst vom Archehof Ibing, Haus-macherwurst aus dem Sauerland, Käse, Kräuterquark, dazu die Zusätze, Gürkchen, Senf. Zu Trinke gibt es das klassische Familiengetränk, Tee aus Kräutern, Wasser und Bier für den Familienvater.
Bitte greifen Sie zu im Gedanken an die deutsche Brutterbrotkultur, die etwas Einzigartiges ist, die uns allen Spass macht, weil sie unkompliziert ist und uns an zuhause erinnert.
Und das ist ein bedeutsamer Punkt. Wie wir bei den Vorbereitungen zu diesem Abend werden auch Sie sich an Früher erinnern, an ihre Kindheit, was ihre Mutter Ihnen in die Schule mitgab, an Abendessen in den Familie und an das Glück, das ein einfaches Butterbrot geben kann.
In diesem Sinne bitte ich Sie heute Abend das Butterbrot zu feiern.

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