Zu Besuch im Weingut Kriechel
Zu Besuch im Weingut Kriechel an der Ahr. Die Flut bei allen Winzern noch gegenwärtig.
Der Walporzheimer Straße in Ahrweiler sieht man die verheerende Flut vom Juli 2021 nicht mehr an. Dennoch ist die Katastrophe vom ersten Augenblick an präsent, als wir – Thomas Großmann und ich – Peter Kriechel in seinem Weingut treffen. Es ist Januar und Kriechel, Geschäftsführer des größten Weinbau-Familienbetriebs an der Ahr und Slowfood-Unterstützer, hat Zeit für uns. Der Schlamm und das Flutwasser, das bis zu 3,50 Meter hoch in Kriechels Garten stand, sind weg. Die Erinnerungen an die Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021, an dem mindestens 134 Menschen an der Ahr starben, Tausende verletzt wurden und noch mehr ihre Häuser und Existenzen verloren, ist noch überall im Weingut gegenwärtig. Da sind die in Schlamm getränkten Flutweinflaschen im Winzerkeller oder der Elektriker, der wichtigste Mann im Weingut aktuell, der nach mehr als einem Jahr endlich die elektrischen Leitungen auf Vordermann bringt.
Die Nacht der Flut ist unvergessen. Peter Kriechel:
„Ich wohne auf der anderen Seite der Ahr. Die Strecke, für die ich normalerweise mit dem Fahrrad fünf Minuten brauche, kostete mich am Tag nach der Flut zwei Stunden mit dem Auto. Ich kam am Weingut an und hab gesehen und gerochen, was Sache war. Der Keller war vollgelaufen. Fässer, die in Zweier-Gestellen gestapelt waren, hatten sich losgerissen, die Stopfen gelöst und unser Wein füllte den Keller.“
Dann habe er nur funktioniert, kaum geschlafen und versucht, zu retten, was noch zu retten war.
„Es ging um unser Überleben als Winzer. Die Welle der Hilfsbereitschaft war überwältigend“
erinnert er sich. So pumpte ein Landwirt aus Wachtberg mit seiner Güllepumpe den zähen Schlamm aus dem Keller des Weinguts Kriechel. Die benachbarten Moselwinzer ließen die beschädigten Weinfässer auslaufen.
„Das selbst zu tun, hätte uns das Herz bluten lassen, 65 Barriquefässer gingen bei uns kaputt, Top-Lagen.“
In einer Nacht verloren die 50 Weinbaubetriebe an der Ahr Wein im Wert von mehreren Millionen Euro und zehn Prozent ihrer Anbauflächen. Da vom Neupflanzen des Weins bis zur ersten Ernte fünf Jahre vergehen, werden in den nächsten Jahren 50 Prozent der Jahresproduktion fehlen.
Für Emotionen war in dieser Nacht und den Wochen und Monaten danach keine Zeit. Handeln war gefragt. Und so startete Kriechel gemeinsam mit Marketingspezialist Daniel Koller und Linda Kleber, die ein Restaurant in Ahrweiler besaß, die größte Crowdfunding-Kampagne, die Deutschland bislang gesehen hat. Er rief die Aktion „Flutwein“ ins Leben. Winzer und ehrenamtliche Helfer zogen insgesamt 180.000 Flaschen aus dem Wasser und dem Schlamm.
Durch die Kampagne „Flutwein“ gingen 4,5 Millionen Euro auf dem Konto der Ahrwinzer ein. Wichtiger aber noch war die mediale Aufmerksamkeit:
„Über Nacht wurde die Ahr mit Katastrophe, Missmanagement und Zerstörung in Zusammenhang gebracht. Wir wollten diesem Bild in der Öffentlichkeit etwas Positives entgegensetzen und das, wofür das Ahrtal steht – unseren Wein“
Ohne die Medien, da ist sich der Winzer gewiss, wäre das nicht gelungen. Und durch starke Partner: Die Deutsche Post sowie die Bohnen Logistik, eine Tochtergesellschaft des Duisburger Hafens, übernahmen die Logistik und schafften die Flutweinflaschen nach Duisburg und von dort aus in alle Welt. Hat man in solcher Krisenzeit überhaupt den Kopf frei für Nachhaltigkeit? Kriechels Antwort lautet:
„Gerade. Die Flutkatastrophe hat uns ja vor Augen geführt, wie wichtig Nachhaltigkeit ist. Wir Winzer müssen in Generationen denken. Etwas anzupacken und so aufzustellen, dass die nächste Generation auch noch etwas davon hat.“
Schon 1555 hat sich Konstantin Kriechel, der Weinküfner war, mit Wein beschäftigt. Kriechels Großvater machte sich nach dem Krieg als Ahrwinzer selbständig.
„Die Katastrophe ist für uns ein Ansporn, weiterzumachen und Dinge anders zu machen, z.B. beim Aufbau des Familiengasthofs Marienthal.“
Stolz zeigt er uns die Pläne mit Terrasse, die sich zum Weinberg hin öffnet.
„Die Winzer an der Ahr stehen schon immer für nachhaltige Bewirtschaftung der Weinberge.“
Bruder Michael Kriechel ist für die Pflanzen im Weinbau zuständig. Er bewirtschaftet die Weinberge, auf denen Früh- und Spätburgunder heranreifen – aus diesen werden auch immer mehr Blanc de Noir gekeltert. Seit diesem Jahr ist der aus roten Trauben gewonnene, leicht bernsteinfarbene Wein, übrigens eine eigene Weinart.
Unser Weingut Kriechel ist der weltweit größte Produzent der Rarität Frühburgunder. Der blaue Frühburgunder ist ein Slowfood-Arche-Passagier seit 2005, damit werden Kulturpflanzen geschützt und gefördert, die vom Verschwinden bedroht sind.
Durch das enge Ahrtal sind die Flächen an den Steilhängen begrenzt.
„Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, dass ein Winzer etwas tut, das dem Boden schadet.“
Deshalb setzen die Kriechels wie alle Ahrwinzer auch keine Vollernter ein. Das Ernten sei damit vielleicht günstiger und schneller, aber durch das enorme Gewicht werde auch der Boden verdichtet. „Im schlimmsten Fall schädigt die Maschine die Pflanzen und fördert die Erosion. Außerdem würden die Traubenschalen beim Pflücken beschädigt, einen Blanc de Noir könnte man dann nicht mehr herstellen.
Michael Kriechel ist eine Koryphäe an der Ahr, was Pflanzen angeht, auch in Bezug auf die neuen resistenten Rebsorten, die sogenannten Piwis, die besonders widerstandsfähig gegen Pilzkrankheiten wie Mehltau sind. Schon jetzt wachsen fünf Prozent Piwis wie Regent, Solaris und Muscaris an der Ahr.
Biowein ist kein Thema, denn so Kriechel:
„Wir arbeiten biologischer als ein Bioweinbetrieb und sind bewusst und gerne nicht zertifiziert. Ein No-Go für uns ist Kupfer. Wir wollen kein Schwermetall im Boden. Stattdessen nutzen wir ein synthetisch hergestelltes Produkt, welches auf die Blätter angewendet wird, nicht auf die Frucht. Nach fünf bis sechs Tagen ist es abgebaut. Das ist im Moment unsere Lösung gegen Mehltau.“
Beim Thema Beikräuter nutzt das Weingut ein Programm der Kreisverwaltung und säte Bienenpflanzen zwischen den Rebstöcken und auch auf Versuchsflächen in den Terrassenlagen.
„2020 haben wir zwei Hektar Bienenweide in den Zwischenbereichen der Rebreihen eingesät.“
Das Weingut arbeitet auch gezielt mit Bodendeckern im Unterstockbereich. Dort landet auch der hauseigene Kompost. Alles, was im Keller verarbeitet wird, geht als Kompost wieder in den Weinberg.
„Wir düngen nur organisch.“
Im Keller reihen sich 1300-Liter-Eichen-Fässer aneinander, Kriechels Stolz:
„Wir bauen unseren Wein nachhaltig aus: in handgefertigten Barriquefässern.“
Die Fässer, die wir sehen, sind aus Holz. Unkaputtbar. Ein Fass hält 80 Jahre und darin steckt seltene Handarbeit. Nur noch ein Daubenhauer in der Nähe von Kaiserslautern ist noch in der Lage die Dauben für die Fässer herzustellen. Um ein solches Fass zu bauen, braucht es eine 200 Jahre alte Eiche, sechs bis acht Meter hoch, gerade gewachsen, ohne Astansätze. Vier Jahre nach dem Einschlagen muss das Holz im Freien bei Wind und Wetter lagern.
„Da muss der Wind drübergehen, der Schnee, die Sonne.“
Die Baumstämme werden nicht gesägt, sondern mit einem Keil gerissen, entlang der Faser. So werden die Kapillaren des Baums nicht zerstört und die Fässer sind dichter.
„Nur wir und die Winzergenossenschaft Mayschoss nutzen diese Fässer.“
Der Preis pro Fass: 7.500 €. Kriechel:
„Das ist es uns wert. Die Reifung im Holzfass gibt dem Wein das nötige Rückgrat.“
Holz ist auch die Energie der Zukunft im Weingut. Da die Heizungsanlagen weitgehend durch die Flut zerstört wurden, stellten die Brüder Kriechel jetzt auf Pellet-Heizung um. Da der Preis für Pellets steigt, überlegen die Kriechels in eine eigene Pelletanlage einer großen Schreinerei am Ort zu investieren.
„Heizen mit Pallets ist nachhaltig. Wir verwenden Abfallreste aus dem Sägewerk.“
Zum Schluss unseres Rundgangs zeigt uns Kriechel Fässer mit Gin, Whiskey und Portwein. Eine Mode? „Wir finden es spannend“, so Kriechel. Man habe z.B. jetzt den Portwein mit dem jungen Eiswein aus dem letzten Winter „versüßt“. Eiswein zu ernten ist immer ein Vabanquespiel, denn niemand weiß, ob die hängengelassenen Trauben tatsächlich genug Frost – mindestens eine Nacht bei 8 Grad - abbekommen, um als Eiswein verarbeitet zu werden. Alles wird streng kontrolliert.
„2022 haben wir zum ersten Mal seit 2001 Eiswein geerntet. Weil wir so guten Ertrag hatten, konnten wir es uns leisten, einige Trauben hängen zu lassen. Sonst zählt jede Traube.“
Und was schätzt Peter Kriechel an Slow Food?
„Slow Food ist genau das ist, wo wir auch hingehen: Regionalität, alte Sorten erhalten, die vom Aussterben bedroht sind, Geschmack erhalten.“
Die Kunden kamen nach der Flut zurück. Immer öfter füllen sich die Holzbänke für Weinproben im noch improvisierten Keller. Und das ist wichtig, denn:
„Nachhaltigkeit müssen wir in jeder Hinsicht beachten, auch ökonomisch. Was hilft es, wenn der Betrieb nicht mehr da ist. Wir wollen über Generationen unser Weingut bewirtschaften.“
© Text von Anne Sengpiel
über Besuch von Anne Sengpiel & Thomas Großmann
im Weingut Kriechel
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