Terra Madre - Stimme des Widerstands

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Die Politik hört auf die Großen des Lebensmittelbusiness und der Agrarindustrie. Slow Food mobilisierte die Kleinen.

Wann die Idee des Projekts Terra Madre entstand, ist nicht bekannt. Bekannt ist lediglich, dass es im Jahr 2003 dem inneren Zirkel der internationalen Slow Food Organisation zur Kenntnis gebracht wurde: Im Herbst 2004, anlässlich des Salone del Gusto, solle ebenfalls in Turin das erste Welttreffen der kleinen Erzeuger stattfinden, 5.000 von ihnen wolle man dazu einladen.

Die Erfolge der „Arche des Geschmacks“ und ihrer damit verbundenen Weltkenntnis zeigte überdeutlich, dass die Welt von vielfältigen Problemen drangsaliert ist, die alle irgendwie zusammenhingen: das Artensterben, die Verknappung der Ressourcen, der Klimawandel, der wuchernde Einfluss der Agrarindustrie mit Giften, synthetischen Düngern, gentechnisch veränderten Organismen, das Kleinbauernsterben, das Vernichten von Ackerland, die Zerstörung traditionsreicher Kulturen.

Als Ursache erkannte man das moderne internationale Lebensmittelsystem, dessen Credo „Maximierung des Profits“ heißt und Welthandel. Die Spieler sind die Großkonzerne, Weltunternehmen mit bekannten Namen, die ihrem Streben nach Marktbeherrschung und Wachstum alles unterordnen. Die Verlierer  – kein Zufall – sind die Ernährer der Welt, in erster Linie die landwirtschaftlichen Familienbetriebe, zumeist Kleinbauern, die für fast 70 Prozent der Weltbevölkerung das Essen erzeugen, aber zugleich auch einen erheblichen Anteil unter den Hungernden stellen.

Die moderne Intensivproduktion und der Welthandel ließ die Agrarbranche zu einem der größten Klimasünder werden - und zu dem am wenigsten nachhaltigen. Die Vereinheitlichung der Produkte führte zu einem ungeheuren Verlust: 75 Prozent der Anfang des 20. Jahrhunderts vorhandenen Lebensmittelvielfalt sind verschwunden. Im Gegenzug florierten die Monokulturen patentierten Saatguts – und raubten den Bauern das Recht, Saatgut selbst aufzubewahren und auszuwählen. Fast unbeachtet verschwanden mit den Lebensmitteln wesentliche Elemente lokaler Kulturen: Rezepte, Landschaften, Sitten und Dialekte. 

Mutter Erde – mehr als ein Name

Die Benennung des Projekts – Terra Madre (Mutter Erde) – verrät die Sicht von Slow Food: Es ist unser Planet, der uns ernährt. Von ihm sind wir abhängig wie ein Baby von der Mutterbrust. Seine fruchtbare Kruste spendet uns Nahrung, sein Wasser ist der Lebenssaft für uns und für alles, was wir essen und trinken. 1.200 Lebensmittelgemeinschaften aus 130 Ländern verstanden diese Botschaft richtig – und sandten knapp 5.000 Bauern, Imker, Züchter, Hirten, Fischer, Lebensmittelhandwerker und Köche im Oktober 2004 nach Turin zum ersten Terra-Madre-Welttreffen. Nie zuvor gab es das: Eine Weltkonferenz der „kleinen Leute“. Jene, die unsere Nahrung mit ihrer Hände Arbeit erzeugen, jene, die unter den Verhältnissen leiden. Vier Tage lang tauschten sie – mit Hilfe von Dolmetschern - in sieben Sprachen Erfahrungen aus, aßen miteinander, schlossen Freundschaften und vereinbarten Zusammenarbeit. Stehenden Beifall zollte dem „königlichen Bauer“, dem englischen Kronprinzen Charles, das fünftausendköpfige Auditorium; durch seine eigenen landwirtschaftlichen Erfahrungen hatte er die richtigen und die bewegenden Worte gefunden.

Inzwischen hat sich das Terra Madre Netzwerk erweitert um viele Köche, Hochschulvertreter, Studenten und junge Bauern: ein weltweites, offenes Netzwerk von Einzelpersonen, Vereinen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs), insgesamt mehrere hunderttausend Menschen. Sie bilden als Kleinproduzenten knapp 2.000 Lebensmittelgemeinschaften in 160 Ländern. Auf ganz unterschiedliche Weise agieren sie mit regionalen Projekten, um unser Lebensmittelsystem von unten zu verändern: In nachhaltiger Weise produzieren sie in begrenzten Mengen qualitativ und geschmacklich hochwertige Lebensmittel und verkaufen sie in ihrem Gebiet, dem sie historisch, sozial und kulturell stark verbunden sind. Auf diese Weise lösen sie sich aus dem unsichtbaren Griff des globalen Marktes, fördern jedoch die lokale Wirtschaft, die wesentlich nachhaltiger arbeitet als das globale System der Großkonzerne mit ihren Monokulturen, Verschmutzungen von Land und Wasser, Vernichtungen der Artenvielfalt und dem damit einhergehenden Zerstören der Kultur ganzer Völker.

Lokale Wirtschaftsformen, kurze Produktionsketten
Terra Madre Netzwerke bilden im Conviviumsgebiet gegenwärtig die drei Presidi (it. für Schutzgemeinschaften) der Bauern der fränkischen Kartoffelsorte Bamberger Hörnla g.g.A., der Bauern des Fränkischen Grünkerns g.U. und der Hohenloher Bauern der Zucht- und Haltungsbetriebe der Weideochsen vom Limpurger Rind g.U.. Zwei weitere Terra Madre Gemeinschaften finden sich in der Rhön: die Wirtevereinigung „Aus der Rhön, für die Rhön“ (neun Gastronomen, die sich verpflichteten, ihren Gästen Speisen aus traditionellen Rhöner Produkten von der Kartoffel und den Streuobstfrüchten bis zum Archepassagier Rhönschaf und der seltenen Bachforelle anzubieten), und die Rhöner Hausmacherkooperation (die sechs Metzgereien beziehen ihre Schweine für die traditionellen Rhöner Hausmacher Spezialitäten nur von Rhöner Bauern). Alle Lebensmittelgemeinschaften agieren eigenständig und unabhängig; das Convivium unterstützt die in seinem Gebiet aktiven soweit als möglich.

Terra Madre Tag
Seit dem Jahr 2009 feiert das globale Netzwerk am 10. Dezember - und mit ihm auch die Slow Food Organisation - aus Anlass des sich damals an diesem Tage zum 20. Male jährenden Geburtstags von Slow Food den Terra Madre Tag. Vielfältige lokale Initiativen überall in der Welt betonen das lokale Essen und das Recht auf den Zugang zu hochwertigen Lebensmitteln. Auch dieses Convivium, als eines der – leider – wenigen in Deutschland, war Jahr für Jahr dabei mit variierender Vielfalt: mal mit 20 Veranstaltungen, mal mit dreien und überschaubarer Teilnehmermenge.

Foto: Terra Madre Treffen in Turin © Dieter Kraft

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