Mit Slow Food der Lebensmittelindustrie etwas entgegensetzen
Es gibt Lebensmittel, die haben einfach herrliche Namen: Teltower Rübchen, Höri Bülle (Zwiebel), Lippische Palme (Grünkohl) oder Rotes Höhenvieh (Rind). All diese Pflanzen und Tiere haben gemeinsam, dass sie vom Verschwinden bzw. Aussterben bedroht sind – und dass sie deshalb „Passagiere“ auf der „Arche des Geschmacks“ sind. Die wiederum ist eine Kampagne von „Slow Food“.
„Slow Food“, das ist eine weltweit und damit auch bundesweit agierende Organisation (siehe Infokasten), deren Motto sich am ehesten so zusammenfassen lässt: gutes, sauberes und faires Essen für alle. Rainer Lagemann kennen viele aus der Naturschutzszene im Kreis Steinfurt, er ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Naturschutz Tecklenburger Land, kurz: ANTL. Und er ist seit Januar auch Leiter des „Slow Food“-Conviviums Münsterland.
„Ich bin schon seit 20 Jahren bei ,Slow Food‘“, sagt Rainer Lagemann, allerdings bisher nie in Amt und Würden. Nun aber, nach den Verwerfungen der Corona-Zeit, habe er Lust mitzuhelfen, dass unserem Convivium der Neustart gelingt.“ Denn, so Lagemann, „bei ,Slow Food‘ ist immer auch ein politischer Ansatz dabei, nicht nur der reine Genuss.“ Und natürlich ist in unserer heutigen Zeit auch das Essen und damit die Frage, wie wir uns ernähren, hochpolitisch.
Aber eben nicht nur. „Die Gemeinschaft von Gleichgesinnten, der Spaß an regionale und saisonalen Produkten und der Aufbau eines Netzwerks von Produzenten und Restaurants gehören genauso zur Philosophie von ,Slow Food‘“, erklärt Lagemann. Heute würden viele Menschen kaum noch oder gar nicht mehr kochen, denen sei ein Kulturgut wie eine gute Ernährung kaum noch bekannt. Und die Lebensmittelindustrie würde das auch noch systematisch befeuern.
„Slow Food“ möchte dem etwas entgegensetzen, das wollte die Organisation schon immer. So wie 1986, als die Aktivisten der ersten Stunde um den charismatischen Vereinsgründer Carlo Petrini in Rom eine Art „Eat-in“ an der berühmten Spanischen Truppe veranstalteten, um damit gegen die Eröffnung der ersten McDonalds-Filiale in der Stadt zu protestieren, aus ihrer Sicht ein kultureller wie kulinarischer Super-GAU.
Im Laufe der Zeit baute „Slow Food“ ein immer größer werdendes Netzwerk entlang der Lebensmittelwertschöpfung auf. Regionalität und Saisonalität waren bei der Organisation schon wichtig, als dieses Vokabular noch nicht so inflationär gehandhabt wurde wie heute. Es gab und gibt Testgruppen, die inkognito Restaurants und Gaststätten unter die Lupe nehmen. Wer den Test bestanden hat, taucht im Idealfall im mittlerweile als kulinarische Bibel geltenden „Slow Food“-Genussführer für Deutschland auf – wie zum Beispiel die Gaststätte Wauligmann in Greven.
Lagemann: „Wir arbeiten daran, noch weitere Restaurants aus der Region aufzunehmen.“
Regelmäßig, sagt Rainer Lagemann, veranstalte man auch sogenannte Produzenten-Stammtische, bei denen „Slow Food“ zusammenführt und dabei hilft, dass Netzwerke entstehen. Mitglied können übrigens nicht nur Öko- oder Bio-Betriebe, sondern genauso konventionelle Betriebe werden. „Wir schauen schon genau hin, aber wir sind da prinzipiell offen.“ Es gelte, Lebensmittel-Enthusiasten bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Hilfe möchte „Slow Food“ auch bei der regionalen Vermarktung leisten, wobei sich das mitunter schwierig gestaltet.
Rainer Lagemanns Wunsch ist es, den Kreis Steinfurt und speziell seine Heimatregion, das Tecklenburger Land, für den „Slow Food“-Gedanken weiterzuentwickeln. „Schön speisen“ möchte er hier, gutes Essen in all seiner Vielfalt genießen, aber eben nicht auf Kosten der Natur oder der Lebewesen in ihr.
So hat „Slow Food“ auch eine Koch-Allianz gegründet. Mit dabei sind Chefs, die nach SL-Kriterien kochen. Mitgliedsbetriebe sind etwa der Lindenhof in Emsdetten oder Wilminks Parkhotel in Neuenkirchen. „Ich bin“, sagt Rainer Lagemann, „kein Freund der Überpolitisierung des Essens, aber sozial, ökologisch und tierwohlorientiert sollte es schon sein.“