18.07.2013 - Schneckenmenü
Schneckenmenü - 18.07.2013
Schnecken essen? Nicht jeder ist von dem Gedanken spontan begeistert. Da sind zunächst die lästigen Schnecken im Garten: gefräßig und äußerlich nicht besonders ansprechend. Meist sind dabei Nacktschnecken gemeint, die sind tatsächlich für den Menschen ungenießbar. Schnecken mit Haus sind dagegen fast alle essbar, es gibt aber große Unterschiede im Genusswert. An diesem Abend ging es allerdings um die echte Weinbergschnecke (Helix pomatia). Angelika Dickel von der Grafschafter Schneckenzucht in Moers hatte die passende Menge mitgebracht für ein mehrgängiges Menü. Unsere Gruppe war dabei nicht ganz so groß wie bei vielen Verkostungsmöglichkeiten sonst. Auch bei Slow Food-Freunden gibt es wohl Grenzen…....
Nach den Begrüßungen durch unseren Conviviumsleiter Manfred Wöstmann und durch den Inhaber des Restaurants Ricordo in Lüdinghausen, Peter Oberhaus, gab es zunächst von Angelika Dickel Informationen über die Herkunft und Vorbereitung unserer Schnecken. Diese Tiere werden bei ihr bis zu 4 Jahre alt, in sonstigen Zuchten geht es oft nur um wenige Monate, in freier Natur leben sie bis zu 8 Jahren. Sie leben umgeben von ihrem Lieblingsfutter. Dabei spielen Brennnesseln eine wichtige Rolle, weiter Taubnessel, Melde und Galium (Labkraut). Die Mehrzahl dieser Pflanzen sind „Starkzehrer“, nehmen aus dem Boden viele Nährstoffe auf und sind dadurch auch ein energiereiches Futter. Der Unterschied zu verbreiteten preisgünstigen Schnecken in Gläsern oder Dosen ist deutlich: Die schmecken in der Regel „nach nichts“ und das Mundgefühl gilt ebenfalls als eher banal. Die hier verwendeten Schnecken sollten dagegen im Geschmack erdige und nussige Komponenten bieten. Sie sind eine eiweißreiche, fettarme und sehr cholesterinarme Kost. Im geringen Fettanteil ist gleichwohl ein reichlicher Anteil von Ω-3-Fettsäuren enthalten. Die Schnecken werden zum Ende einige Tage ohne Futter belassen, so dass der Verdauungstrakt sich leert. Dann wird die Schnecke in heißem Wasser getötet, das Fleisch (ohne Ausscheidungsorgane) aus dem Haus entfernt und in Brühen oder Fonds bis zu 3 Stunden gegart. Die lange Garzeit sorgt allerdings auch bei diesen hochwertigen Schnecken für einen ziemlich festen Biss, ein wenig vergleichbar mit chinesischen Pilzen. Nun war genug Neugierde geweckt, unser Menü konnte beginnen.
Im ersten Gang gab es parallel zwei Zubereitungen von Schnecken in kleinen Backformen: Escargots à la bourguignonne mit einem Kräutersud und Lumache alla Maremma (mit italienischen Gewürzen, Kräutern und Tomatenanteilen) Beide Zubereitungsarten wirkten als Ganzes stimmig, waren aber auch so deutlich gewürzt, dass eventuelle subtilere Aromen der Schnecken nicht hervortraten. Bei der ersten, der Kräutervariante konnten vielleicht zurückhaltende erdige Geschmacksnoten ausgemacht werden. Schnecken alla Maremma waren deutlich von der Tomate bestimmt, gegen die sie geschmacklich nichts ausrichten konnten.
Es schloss ich eine Suppe an von püriertem gelben mit Würfeln von rotem Paprika und Schneckeneinlage. In die „vollmundige“ Würzung der Suppe waren die Schnecken gut eingebunden, ohne viel von eigenen Noten zu verraten.
Der Hauptgang hieß eigentlich "Rind im Schneckenhaus". Es gab aber dann doch deutlich mehr Rind, als dieser Name vermuten ließ: Ein Rinder-Rollbraten, gefüllt mit einer Pilz-Schnecken-Masse, dazu frischer Rosenkohl (eigentlich war dies ein warmer Tag im Juli, aber erhältlich ist heute fast alles rund ums Jahr…) sowie ein Kartoffel-Minz-Strudel. Natürlich war wohl jeder an diesem Tag auf die Schnecken fokussiert, die in der Füllung nicht so deutlich hervortraten. Oft sind Füllungen - wie etwa die historische Duxelle (ebenfalls Pilze als Hauptbestandteil) - außer zum Auffüllen des Volumens auch dazu da, eine ergänzende oder manchmal auch kontrastierende Geschmacksnote einzubringen. Die Pilze konnten das einlösen, die Schnecken mit ihren sehr zurückhaltenden Noten müssten hier eine andere Funktion gehabt haben, vielleicht am ehesten, einen Kontrast im Mundgefühl einzubringen.
Die Nachspeise, Sfogliatelli (Feines Gebäck in Muschel-/Schneckenform)
mit Pannerocreme und vanilliertem Pfirsich wurde durch eine kleine Einführung in die Schwarzbrotspezialitäten des Hauses vorbereitet. So fehlte auch nicht der Hinweis auf den päpstlichen Gesandten Fabio Ghigi, der zum Abschluss des Westfälischen Friedens einige Zeit im Münsterland verbrachte und bekanntlich seine Abscheu gegen das für ihn ungewohnte Brot sehr deutlich machte. Sicher hätte es ihm an diesem Abend deutlich besser gemundet.
Zum Menü wurden uns von Peter Oberhaus sehr gut passende Weine empfohlen. Mit angeregten Diskussionen um die Hauptzutat des Abends und bei einem guten Glas saßen einige noch lange bei Tisch.
Ein Wort an alle, die nicht verhindert waren, sondern sich gegen diesen Versuch entschieden haben: Genuss findet letztlich im Kopf statt. Welche Tiere wir (nicht) essen, ist durch Traditionen bestimmt, die man ändern kann. Es spricht jedenfalls durchaus für einen solchen Versuch, dass auch einige Spitzenköche bis in den Sternebereich sich entschieden haben, Geschmackserlebnisse mit Schnecken aus dieser Quelle auf die Karte zu nehmen. Reizvoll und lohnend für Profis und auch für ambitionierte Hobbyköche ist dabei gewiss die Aufgabe, diese Schnecken geschmacklich mit zurückhaltenden, aber sich ergänzenden anderen Zutaten zu kombinieren und auch das ihnen eigene Mundgefühl passend einzubinden.
(Wolfgang Hack)