Wurstseminar im Jägerhof in Maar
Bericht von Gerhard Schneider-Rose
Hans Schmidt aus Lauterbach-Maar im Vogelsberg ist Inhaber des Genussführer-Lokals „Jägerhof“. Er hat nicht nur das Küchenhandwerk erlernt – er ist auch Metzgermeister und Fleischsommelier und zerlegt Rind, Schwein, Lamm und Wild für die Gasthofküche. Sein großes Interesse an den traditionellen Fleisch- und Wurstwaren aus dem Vogelsberg hat dazu geführt, dass er die Produkte der Vogelsberger Hausschlachtung regelmäßig nach traditionellen Rezepten herstellt. Hausmacher Wurstplatten und gebratene Kartoffelwurst finden sich auf der Speisekarte, Gäste können Hausmacher Wurstwaren nach Hause mitnehmen, im Onlineshop gibt es Blut-, Leber- und Kartoffelwurst, Schwartenmagen und andere Spezialitäten. Seit 2012 bietet Hans Schmidt im Winterhalbjahr „Wurstseminare“ für jeweils 8-10 Personen an, die sich zum Dauerbrenner entwickelt haben. Ein Termin pro Woche reicht inzwischen nicht mehr, um die Nachfrage zu decken. Als Convivienleiter von Slow Food Nordhessen hat er mich eingeladen, mir so eine Veranstaltung mal aus der Nähe anzusehen. So betrete ich an einem Morgen Mitte April die „Wurstküche“ des Jägerhofes. Hans Schmidt, sein Mitarbeiter Ernst und 10 Seminarteilnehmer stehen schon im Raum, alle mit Schürze und Haarschutz ausgestattet. Zwei Schweinehälften hängen ausgeschlachtet am Haken. „Ausnahmsweise kein schwäbisch-Hällisches Landschwein, der Schlachtbetrieb hat diese Woche leider keine erhalten, dafür aber ein Mastschwein mit höherem Fettgehalt als üblich. Eine gute Wurst braucht einen gewissen Fettanteil“, erläutert der Metzger seinen Zuhörern. Einige Schweineköpfe köcheln schon im Wurstkessel. Gewürze, Därme, gereinigte Mägen, Blut, Leber - alles steht für die Wurstaktion bereit. Die beiden Profis zerlegen die Schweinehälften und schälen die Knochen heraus. Das Kleinschneiden von Muskelfleisch und Speck ist Sache der Teilnehmenden. Schnell merken sie, wieviel Handfertigkeit zum Beispiel zum Ablösen der Schwarte vom Speck erforderlich ist. Hans Schmidt erläutert die Verwertbarkeit aller herausgelösten Teile und passt auf, dass jedes Stück in der richtigen Mulde für die Wurstsorten landet. Schon bald wird der Wolf für die Hackfleischherstellung mit vorgewürztem („geschrotetem“) Fleisch- und Speckstücken befüllt. Verwendet wird die gewolfte Masse für Frikadellen und Bratwurst fürs Mittagessen, Cervelatswurst mit und ohne Knoblauch und Kartoffelwurst. 15 Prozent Pellkartoffeln kommen zur Füllung bei der Kartoffelwurst dazu. „Gestreckte Würste“ sind in Nordhessen sehr verbreitet, der Kartoffelanteil ist die Besonderheit im Vogelsberg, in anderen Gegenden wird das Fleisch mit Kohl, Karotten oder alten Brötchen („Wecken“) verlängert. Bei der Würzung, Mengung und Abfüllung der Kartoffelwurst schaue ich besonders genau hin, weil Hans Schmidt sie als Kandidatin für die Arche des Geschmacks vorgeschlagen hat.
Beim Mengen, Abschmecken und Abfüllen der Wurstsorten ist intensive Mitwirkung der Seminarteilnehmer angesagt. Erstaunlich, wie wenig Ekel es beim Mengen und Abschmecken von Blut und roher Leber in der Gruppe gibt. Beim Wurstfüllen zeigt sich, wieviel Erfahrung beim Abbinden und Abdrehen der Würste gefragt ist, wenn es zügig voran gehen soll. Aber Hans Schmidt hat Geduld und freut sich über jeden, der sich an die Arbeiten herantraut. Nach dreieinhalb Stunden und dem einen oder anderen Schlachteschnaps mit dem dazu gehörigen Spruch hängen die Rohwürste in der Wurstekammer und die Kochwürste schwimmen im Kessel. Der Raum ist erfüllt von Gerüchen nach Schweinefleisch, Pfeffer, Macis, Ingwer, Koriander und Majoran. Hans Schmidt ruft die Gruppe zum gemeinsamen Mittagessen im sonnigen Hof der Gaststätte. Es gibt Leber- und Blutwürsten direkt aus dem Kessel, gekochte Schweineschnauze und -Backe, Frikadellen und Bratwürstchen mit Roggenbrot aus dem Vogelsberg. Alle langen kräftig zu. Beim Gespräch mit den acht Männern und zwei Frauen zeigen sich die Beweggründe für die Seminarteilnahme. Fast alle haben Kindheitserinnerungen an die Hausschlachtung, die sie wiederbeleben wollen. Ein Thüringer schlachtet seit langer Zeit selbst und hat Interesse an Rezepturen aus anderen Regionen. Ein Krankenpfleger macht sich Sorgen, dass unsere hochentwickelte Gesellschaft mal zusammenbrechen kann und wir dann auf eigene Fähigkeiten zur Selbstversorgung angewiesen sind. Ein Jäger sondiert die Möglichkeiten, Wildfleisch zu verarbeiten. Allen anderen geht es weniger darum, selbst wieder Wursten zu wollen als um die Lust am Wissen, wie es geht und was drin ist in der Wurst. Mit ihrem Interesse passen sie gut zu Slow Food – aber noch niemand hat von unserer Bewegung näheres gehört. Am abendlichen Schlachtefest kann ich leider nicht teilnehmen – schade. Eine Woche nach dem Wurstseminar erhält jeder Teilnehmende ein Paket mit den dann abgetrockneten und zum Teil geräucherten Produkten vom Wurstseminar. Im Jägerhof gibt es auch Lamm- und Wild-Zerlegeseminare. Wer hier teilnimmt, erfährt eine Menge über die Verwertbarkeit der Fleischteile, verschiedene Zuschnitttechniken. Routiniert zerlegen kann man am Ende des Tages nicht – professionelles Handwerk braucht lange Routinen. Auch am Ende dieser Kurse gibt es viele tolle Gerichte aus den gerade zerlegten Tieren zum Probieren. Seminare und Kurse rund ums Schlachten und Verarbeiten von Tieren bietet nicht nur der Jägerhof an, bei einem – meist männlichen - Teil der Bevölkerung scheint angesichts der zunehmenden Arbeitsteilung das Interesse an der Wiederaneignung des Wissens um das Fleisch groß zu sein. Gleichzeitig wird bei den Angeboten an den Supermarkttheken der Zusammenhang des ausliegenden Angebotes mit dem lebenden Tier immer mehr verdeckt und die Ekelschwellen bei der Berührung mit rohem Fleisch werden höher.