Wir laden Sie ein zur Genussreise durch Oberfranken
"Wenn ich Klees auf’m Tisch hob, brauch ich kaa Fleisch!"
Ein Bericht von Harald Scholl
Einen echten Oberfranken an seiner bevorzugten Speise zu erkennen, ist denkbar einfach. Für Frauen und Männer gilt gleichermaßen, dass sie, bzw. er, in der Woche mindestens vier mal Klöße isst. Am Sonntag "Griena Klees (oder Klöss, Glees, Glies je nach lokalem Dialekt) mit Braten", die Montags als "Eingeschnittna mit Sooß“ weiterverwendet werden. Am Mittwoch könnten "Ballnklees mit Schlauchbrieh“ und Freitags "Gebackna Klees oder Baggala mit Apfelbrei“. Und wenn dann noch ein Seidla (= Bierkrug) Bier aus einer der annähernd 200 Brauerein der Region daneben steht, ist endgültig klar: Sie sind in Oberfranken, der immer noch unbekannten Genusslandschaft im Nordosten Bayerns. Eine Region, die weit mehr zu bieten hat als deftige Kost und drollige Dialekte.
Reden ist seine Sache eigentlich nicht. Helmut Polster, unter genussfreudigen Oberfranken schon legendärer Wirt des Held Bräu in Oberailsfeld, lässt lieber die Küche seiner Frau sprechen: Schäuferla, Sauerbraten, Rouladen, im Herbst zusätzlich Gänsebrust. Immer mit Klees, manchmal mit Kraut, rot oder weiss. Dazu seine Biere, dunkel, hell und in der kalten Jahreszeit, ein Weizendoppelbock, Hollerbusch genannt. An jedem Wochenende ist die kleine Wirtsstube in Oberailsfeld zum Brechen voll, aus Nürnberg, Bayreuth und Bamberg kommen die Hungrigen, um sich einen der Sonntagsklassiker auf den Teller laden zu lassen. Vor allem das Schäuferla ist regelmäßig ‚aus‘. So zart und saftig lässt sich das Fleisch vom namens gebenden Knochen (Schäuferla = Schaufel = Schulterblatt des Schweines) schieben, so krachend knusprig die Schwarte, dass dem Betrachter schon beim sehnsuchtsvollen Blick auf den Nachbarteller das Wasser im Mund zusammenläuft. Das der ganze Spass nebst handgedrehtem Klees für unter 10 Euro zu haben ist, dürfte der Legendenbildung nicht ganz abträglich sein. Seit über 300 Jahren sind Brauerei und Wirtshaus in Familienbesitz, keine Seltenheit in einer Region, die im bisweilen als etwas laut empfundenen Bayern, eine Quelle der Ruhe und Kontinuität darstellt. Die sich vor allem im Naturell der Oberfranken widerspiegelt. Es sind die inneren Werte, die für einen Oberfranken zählen.
Sie lassen sich Zeit zwischen Hof und Forchheim, zwischen Bamberg und Wunsiedel. Dadurch erscheint der ganze Regierungsbezirk wie eine Musterregion für den Slow Food Gedanken. Hier gibt es sie noch, die traditionell arbeitenden Lebensmittelhandwerker, werden noch Brote aus Sauerteig gemacht, von Hand geknetet und geformt und im Holzofen gebacken. Hier werden die Schweine für die zahllosen Wurstspezialitäten der immer noch reichlich vorhandenen Metzgereien beim Landwirt nebenan aufgezogen, kommt das Bier aus einer lokalen Brauerei. Diese bis heute ungebrochene Leidenschaft der Oberfranken für kraftvoll-würzige Biere, deftige Tellergerichte, herzhafte Würste und duftende Brote liegt sicher in der Geschichte der Region begründet. Reich waren die Menschen zwischen Eger und Main nie, harte Arbeit in den Wäldern, der Textil- oder Porzellanindustrie bestimmte ihr Leben. Auch wenn die Härte der Arbeit abgenommen hat und vor allem für die Automobilzulieferindustrie gearbeitet wird - in bayerisch Sibirien, wie speziell die Region um Hof gerne genannt wird - ist die ausreichende Kalorienversorgung ein Grundbedürfnis. Das gilt vor allem für das Bier, das in diesem fränkischen Regierungsbezirk noch immer in rund 200 größeren und vor allem kleineren Braustätten entsteht. Es wäre müßig alle Biere zählen zu wollen - aber um die 1.000 verschiedene Biere werden in Oberfranken hergestellt. Vor allem kräftige dunkle Biere, dazu Saison- und Festbiere, wie das stärkere Bockbier, unfiltrierte und ungespundete Biere, Hefeweizen und natürlich Besonderheiten wie das Rauchbier, mit dem Oberfrankens größte Stadt Bamberg untrennbar verbunden ist. Während in Oberbayern die Starkbierzeit zum Frühlingsbeginn eingeläutet wird, beginnt der Bockbier-Ausschank in Bamberg erst im Oktober. Und auch die kleineren, lokalen Brauereien bringen ihre Bockbiere erst ab dem Herbst auf den Markt. Also dann, wenn der Körper sich auf die kalte Jahreszeit einstellt und Kalorien ansammelt.
Ausg’steckter Besen: Der Bäcker als Brauer
Gesprächiger als der Brauer aus Oberailsfeld ist der Bäckermeister Thomas Zimmer, dem in Bayreuth die Bäckerei Lang gehört. Auch er ist Brauer, aber nur im Nebenberuf sozusagen. Er hat die uralte Tradition des sogenannten „Beck’nbiers“ in Bayreuth wieder aufleben lassen. Die Verbindung des Bäcker- und Brauerhandwerks in der Region geht zurück auf ein Dokument aus dem Jahr 1623, das belegt, dass unter den insgesamt verzeichneten 83 Brauern, auch zwölf Bäcker jährlich im damaligen städtischen Brauhaus ihren Haustrunk brauten. Und die Bayreuther Gewerbestatistik von 1860 verzeichnet immerhin 54 Bäcker und Brauer gegenüber fünf hauptberuflichen Brauern. Rund hundert Jahre später gab der letzte Brauer-Bäcker auf. Zimmer, der nebenher auch noch Chef der Handwerkskammer ist, hat die Brautradition seiner Bäckerei wiederbelebt, mehrmals im Jahr steckt er den Besen aus und serviert zum hauseigenen Bier deftige Bayreuther-Hausmannskost. Das er trotz seiner diversen Engagements noch Zeit zum Backen hat, grenzt an ein Wunder. Denn auch die Brote seines Familienbetriebs sind alles andere als belanglos. Buschenbrot, Holzofenbrot oder der fränkische Bauernlaib riechen und schmecken so, wie echtes Brot sein sollte. Mit einer Portion "Ziebeleskäs" - ein mit Zwiebeln und Kümmel angemachter Quark - und einem Bier die perfekte Brotzeit.
Früher haben Privatleute - und auch Bäcker - in der sogenannten „Kommunbräu“ ihre Sude angesetzt. Die entsprechenden Gebäude gibt es in Oberfranken kaum noch, unter dem Namen „Kommunbräu“ sorgt aber eine Wirtshausbrauerei seit 1994 in Kulmbach für handgemachtes Bier. Denn der Oberfranke träumt vor allem von Einem: Einer lokalen Kleinbrauerei, mit echt fränkischem Bier, am Besten gleich ein richtiges Wirtshaus dazu, um die typischen Spezialitäten der Heimat mitgeniessen zu können. In Kulmbach kamen vor rund 20 Jahren etwa 100 Biertrinker zusammen und gründeten eine Genossenschaft und ein solches Brauhaus: Die Kulmbacher Kommunbräu. Seitdem wird gebraut und gebrutzelt, dass es eine wahre Freude ist. Ein Helles und ein bernsteinfarbenes Bier gibt es ganzjährig, dazu kommt monatlich weitere eine Bierspezialität: Bockbiere, Starkbiere, vorwiegend rauchig, malzig, würzig. Mit 1200 Hektolitern Bier im Jahr ist die Kommunbräu nur eine Kleinstbrauerei. Dafür aber ein kulturelles Erbe erster Güte. Denn viele der Bierrezepte werden nur noch hier gebraut und so vor dem Vergessen bewahrt. Dazu passt auch die Küche. Denn der Wirt Frank Stübinger hat sich dem reichen kulinarischen Erbe Oberfrankens verschieben. Wem „Blaug’sudna“, „Süßsaures Geling’“ oder „Kren Hax’n“ zu deftig sind, kann immer noch „Ausg’schtraafta“ zum Bier bestellen. Dafür wird feines Bratwurstbrät direkt aus dem Darm auf Bauernbrot gestrichen und mit Zwiebeln und Paprikapulver angemacht. Ungewohnt - aber süchtig machend!
Eine Frage der Religion: Bratwurst - Katholisch oder evangelisch?
Bei keinem anderem Produkt können sich Oberfranken untereinander so sehr in die Haare kriegen, wie bei der Bratwurst. Das hat auch mit Religion zu tun, denn es gibt eine konfessionelle Unterscheidung, zwischen evangelischen (grob) und katholischen (fein) Bratwürsten. Die evangelischen sind eindeutig älter, schließlich sind Kutter zur Herstellung feinsten Bratwurstbräts erst seit rund 100 Jahren gebräuchlich. In den evangelischen Regionen mag das Festhalten an der einfacheren Wurstrezeptur mit einem gewissen Understatement in Sachen "Genuss" verbunden sein. Das hat definitiv nichts mit der viel beschriebenen Leibfeindlichkeit zu tun, aber ein eher zurückhaltendes Verständnis von Luxus und Verfeinerung in kulinarischen Dingen, ist den Protestanten sicher nicht abzusprechen.
Der Prototyp einer evangelischen Bratwurst ist die Coburger. Exakt von 31 cm Länge (genau!), dank Sondererlaubnis mit Ei gebunden, ausschließlich abgefüllt im Bändeldarm und wenn möglich über Tannenzapfen gegrillt. Das diese herzhafte Delikatesse stilgerecht im von oben (!) eingeschnittenen Brötchen serviert wird, müsste auch schon dem Reformator Martin Luther aufgefallen sein, der 1530 während seines Besuchs in Coburg die eine oder andere Wurst gegessen haben dürfte. Wichtiger als die Frage nach der Beschaffenheit des Bräts, ist der unvergleichliche Geschmacksreichtum der fränkischen Bratwurst. Denn ‚die‘ fränkische Bratwurst gibt es nicht. In Kulmbach ist ein spezielles Brötchen, der Bratwurststollen, für die Bratwurst typisch, in Hof sind die Bratwürste magerer als im übrigen Franken. Im Bamberger Land kocht man sie gerne "blau" und in Bayreuth ausschließlich paarweise und fein gefuttert - obwohl die Stadt evangelisch geprägt ist. Einig ist man sich in Oberfranken aber beim Verzehr von Bratwürsten zum Heiligen Abend, genauer gesagt als "Mettenwörscht" nach der Mitternachtsmesse in den frühen Morgenstunden des ersten Weihnachtstages. Ganz objektiv wird die Frage nach der besten fränkischen Bratwurst seit einigen Jahren auf einem Bratwurstgipfel in der Stadt Pegnitz, rund 30 km südlich von Bayreuth, geklärt.
Hervorragende Wasserqualität für feinste Fische
Vom guten oberfränkischen Wasser profitieren nicht nur die unzähligen Brauerei - auch Fisch ist aus der oberfränkischen Küche einfach nicht wegzudenken. Vor allem in der fränkischen Schweiz - gelegen zwischen Bayreuth im Osten, Bamberg im Westen und Erlangen im Süden - gibt es unzählige Teiche, Flüsse, Bäche und Seen in denen sich Forelle, Karpfen, Flusskrebs und Co. tummeln. Die einzigartige Landschaft hat nicht nur die Vertreter der deutschen Romantik beseelt - auch der gebürtige Saarländer Karl-Peter Schwegel konnte dem Zauber der Region nicht widerstehen. Heute hat er 27 Teiche im Aufseßtal, hier wachsen Bachforellen, Regenbogenforellen, Lachsforellen und sogar Saiblinge heran. Dazu kommen Karpfen und Schleien von gepachteten Teichen und Aale aus der Wiesent. Der Karpfen ist im westlichen Oberfranken - das sind die Landkreise Bamberg, Forchheim und Lichtenfels - geradezu ein kulinarisches Kulturgut. Im Herbst kommt er besonders gern in Bierteig ausgebacken auf den Teller. Aber auch in den anderen oberfränkischen Regionen wird der behäbige Fisch gerne gegessen. Eine besondere Delikatesse, deren Ursprung wahrscheinlich auf venezianische Steinhauer die im Mittelalter im Frankenwald tätig waren zurückgeht, ist Stockfisch. Er wird zu Karfreitag als originelles und traditionelles Gericht zubereitet. Etwas gewöhnungsbedürftig ist die Zubereitung mit Milch und die Beigabe der unvermeidlichen Klees schon - aber allemal authentisch.
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