Genuss und Klimaschutz – zwei Seiten einer Medaille
Aktuell ist die Debatte um »Klima und Ernährung« vom »Verzicht« dominiert. Die Verzichts-Appelle (zumeist beschränkt auf Fleisch) verunsichern Verbraucher, wecken Scham- und Schuldgefühle, was Wahl und Lust auf verschiedene Lebensmittel angeht, die für ein gesundes Klima vom Speiseplan offenbar vollständig verdammt gehören. Nicht wenige fühlen sich in ihrer lang erkämpften und wohl verdienten Wahlfreiheit derart eingeschränkt, dass sie mit Trotz reagieren; wo kämen sie hin, sich ihr Schnitzel verbieten zu lassen. Eine solche Diskussion ist in der Tat recht unerquicklich!
Woran es der Debatte aus Sicht von Slow Food mangelt, ist die Kehrseite des Verzichts aufzuzeigen: Den Zugewinn an Genuss! Sollte es uns nicht gelingen, genau das den Verbrauchern schmackhaft zu machen und die Debatte gehaltvoller zu gestalten, wird die Ernährungswende nicht gelingen.
Doch kehren wir noch einmal zum Verzicht zurück: Ja, der Klimawandel zwingt uns zum Verzicht. Aber Verzicht worauf? In allererster Linie den Verzicht auf Lebensmittel, die hochverarbeitet sind und auf eine Art und Weise erzeugt werden, dass sie Mensch, Tier und Umwelt ausbeuten, in Strukturen, die zu einer Sortenverarmung sowie der Diskreditierung und dem Verlust von Handwerk führen und schon jetzt horrende Kosten nach sich ziehen – und zwar für jeden von uns.
Verzicht auf eine scheinbare Vielfalt, die in Wirklichkeit keine ist: Die Bandbreite nicht enden wollender Supermarktregale ist künstlich erzeugt und voller industrieller Helferlein, dem Geschmack »echter« Lebensmittel könnte sie ferner nicht sein. Verzicht auf ein Geflecht von Rivalitäten zwischen Mensch und Tier als Nahrungskonkurrenten, zwischen Ackerflächen und Wäldern, zwischen Klimaschutz und Genuss.
Und zu guter Letzt verzichten wir auf Mengen, die uns von Natur aus nicht zustehen und die mit Klimaschutz und Genuss (im Sinne von Slow Food) kollidieren. Und das, was wir uns nehmen, übersteigt oftmals unseren eigentlichen Bedarf, weshalb die Frage »Wie viel Essen brauche ich eigentlich wirklich?« erlaubt sein muss, wenn sich die Antwort darauf unmittelbar auf das Gemeingut, auf uns alle, auf unsere Lebensgrundlagen auswirkt.
Was und wie gewinnen wir nun, wenn wir diesen Verzicht üben? So manchem, darunter zahlreiche Slow-Food-Seelen, hat sich das längst erschlossen, andere gilt es noch zu überzeugen. Also los! Lebensmittel, die unsere fünf Sinne stimulieren und erfreuen; eine Vielfalt an Sorten und Rassen und das Glück, ihre Geschmacksnuancen und -tiefen (wieder)entdecken zu dürfen; ein neues Beziehungsgeflecht und Wohlbefinden, wenn wir die Menschen kennen, die unsere Lebensmittel erzeugen und weiterverarbeiten und die Natur schützen, in der all das entsteht; Bindung und Selbstbewusstsein, weil wir uns mit Mensch, Tier und Umwelt ins Verhältnis setzen und darüber auch mit uns selbst; Souveränität, weil wir die Verantwortung für das, was wir essen, wieder übernehmen, statt sie einigen wenigen Konzernen der Lebensmittelindustrie zu überlassen.
Essen ist ein genussvolles sowie sinnlich-emotionales Erlebnis, was wir mit anderen in Freude teilen, was uns Lebensqualität schenkt. Ich finde also, dass wir sehr, sehr viel gewinnen und es ein freudiges Unterfangen sein kann, das Klima mithilfe unserer Ess- und Ernährungsgewohnheiten zu schützen (ist der Schmerz über den Verzicht erst einmal verdaut). Auch all jene, die nun um ihr Schnitzel bangen kann ich beruhigen: Eine klimagerechte Landwirtschaft, die Wälder und Felder sowie ganze Landschaften als Orte der biokulturellen Vielfalt erhält, stellt uns weiterhin Fleisch und Milcherzeugnisse zur Verfügung – in geringerem Umfang, dafür in viel höherer Qualität, weil wesensgemäße Tierhaltung nicht nur dem Tier gut tut, sondern schlichtweg bessere Lebensmittel liefert. Auch die Mengenfrage, das heißt, die nach dem »gesunden« Maß würde uns abgenommen, wenn wir auf eine Landwirtschaft umstellen, die nicht immer mehr vom Schlechten, sondern ausreichend vom Guten produziert. Die meisten Erzeugnisse stünden uns in Masse gar nicht mehr zur Verfügung. Wäre nicht auch das herrlich, frei zu sein von dieser Fülle dessen, was wir sowieso nicht wollen?
Quelle: Slow Food Magazin 05/2019