Suffizienz und der Trend zum »Slow Life« SFM 01/2015
»Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse – aber nicht genug für jedermanns Gier«, hat Mahatma Gandhi einmal gesagt. Dies war seine Antwort auf eine Frage, die sich seit den Anfängen der Industrialisierung eigentlich jede Menschengeneration immer wieder neu stellt: Was ist genug? Oder konkreter formuliert: Wie viel darf sich der einzelne Mensch von diesem Planeten nehmen – gemessen an Boden, Wasser, Luft und Rohstoffen – ohne über seine Verhältnisse zu leben?
Schon in Richard Wagners »Ring der Nibelungen« – entstanden in der Frühzeit der deutschen Industrialisierung – brütet das von der Gier versklavte Menschengeschlecht, bei Fronarbeit unter Tage, im Feuerschein der Thyssenschen Essen und zum Takt der Kruppschen Ambosse, über diesem Problem. Die Natur, so der ökologische Vordenker Wagner, wird vom Menschen beraubt und ausgebeutet. Folgerichtig rächt sich Vater Rhein am Ende für die Schändung und ersäuft Vergewaltiger und Ausbeuter in seinen Fluten.
Dass grenzenloses Wachstum angesichts begrenzter Ressourcen letztlich in der Apokalypse endet – welcher Bürger, den das Unbehagen an den Konsumexzessen unserer Gegenwart umtreibt, würde diese Erkenntnis nicht unterschreiben? Darauf aufbauend postuliert nun eine weltweit immer stärker werdende Bewegung von Menschen auch eine Lösung. Sie heißt: Weniger ist mehr! Allgemein gesagt bedeutet dies: Weniger Konsum schont nicht nur Arten und Ressourcen, sondern führt auch zu mehr Lebensqualität. Konkret etwa: Weniger Karriere heißt mehr Zeit für die eigene Entwicklung, für Familie und Hobbies. Oder im Sinne von Slow Food: Wer weniger Natur und Lebensmittel vergeudet, kann damit eine größere kulinarische Vielfalt erfahren.
Dahinter steckt ein Gedanke, der in der Ökologieforschung seit längerem propagiert wird. Nachhaltigkeit ist nur mit einer dreifachen Strategie zu erreichen. Öko-Effizienz bedeutet den jeweils produktivsten Einsatz von natürlichen Ressourcen. Öko-Konsistenz ist der Wechsel zu verträglichen Technologien, die Material und Stoffe nutzen, ohne die Natur zu zerstören. Beide Strategien kommen erst zum Ziel, wenn sie von Öko-Suffizienz ergänzt werden. Gemeint ist damit eine Lebens- und Wirtschaftsweise, die den Güterverbrauch auf ein für den Einzelnen genügendes, für den Planeten aber erträgliches Maß reduziert. Dies impliziert den Verzicht auf Konsum, der eine individuell nachhaltige Öko-Bilanz sprengen würde. Etwa den Kauf des Zweit- oder Drittwagens, die x-te Fernreise per Flugzeug oder den Kauf eines neuen Fernsehers anstelle der Reparatur.
Schon seit den Anfängen der Slow Food Bewegung sind solche Gedanken auch Teil unseres Programms. Slow Food setzt sich ein für ein Ende der Wegwerfmentalität beim Essen. Nahrung ist zu kostbar, um in der Tonne zu landen. Zum Beispiel Fleisch: Das ganze Tier zu essen, bedeutet eine Steigerung der persönlichen Geschmackserlebnisse, da sich der Speiseplan neben Filet und Kotelett um eine Vielzahl von Rezepten erweitert, die das Tier vom Kopf bis zum Schwanz geschmackvoll zubereiten. Mehr Genuss also bei weniger Verschwendung! Weniger Fleischkonsum bedeutet weniger Massentierhaltung und weniger Tierquälerei. Wer noch dazu sein Fleisch gezielt einkauft, stärkt eine regionale, ökologische und bäuerliche Landwirtschaft. Dies bedeutet einen Gewinn an Qualität auf dem Teller bei geringerem Ressourcenverbrauch.
Weniger Konsum ist in diesem Sinne also gleichzusetzen mit mehr Genuss, Sinnenfreude und Lebenserfüllung. Und verzichten, wenn überhaupt, wollen wir auf ein industrielles Nahrungsmittelsystem, das Natur, Tier und menschliche Arbeitskraft verschleudert und die Endlichkeit der Ressourcen nicht zur Kenntnis nimmt!
In diesem Sinne, ein gutes neues Jahr! Bleiben Sie weiterhin engagiert, kritisch und genussfreudig,
Ihre Ursula Hudson