Unsere Heimat heißt Vielfalt! SFM 01/2017
Max Frisch hat dem deutschen Wort »Heimat« einmal Unübersetzbarkeit attestiert. Beim englischen »Fatherland« denke er ans Militär und beim französischen »La Patrie« an eine Fahne. Wollte er damit behaupten, Briten und Franzosen haben keine Heimat? Wohl kaum.
Heimat ist ein Projektionswort. Jeder kann darin sehen, was ihm beliebt. Frisch beispielsweise dachte bei dem Wort Heimat an seine Kindheit. An eine Gasse in Zürich und die Mutproben, mit denen er seine Klassenkameraden beeindrucken wollte. Andere Menschen wiederum verbinden Heimat mit dem Ort, an dem sie ihre Freunde und Familie haben. Mancher mag auch an eine Fahne denken, und sei es die seines Fußballvereins.
Dies macht klar: Heimat ist auch ein Sehnsuchtswort. Die meisten Menschen assoziieren es mit Bindung, Wärme und Geborgenheit. Für politische Unternehmer aller Couleur sind diese semantischen Eigenschaften ideal. Der Begriff Heimat erlaubt nämlich konstruktive Mehrdeutigkeit. Ein Beispiel. Der bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU) hat sich vor zwei Jahren im Hinblick auf größere Aufgaben zum »Heimatminister« ernennen lassen. Das neugeschaffene Amt in Bayern beschäftigt sich indessen mit dem Ausbau des globalsten aller Medien: dem Internet. Ein weiteres, weniger harmloses Beispiel. In Sachsen agiert die sogenannte Initiative Heimatschutz. In ihrem Fokus steht aber die Hetze gegen Flüchtlinge und die angebliche Islamisierung Deutschlands.
Gerade rechte Ideologen haben schon immer versucht, den Heimatbegriff für sich zu vereinnahmen. In der Regel geht dies einher mit politischem Katastrophismus. Der Heimat droht die Auslöschung. Gegenwärtig durch den Islam, in den 1980er-Jahren war es kurioserweise die Überbevölkerung. Der deutsch-nationale ÖDP-Politiker Herbert Gruhl phantasierte damals vom Untergang Deutschlands durch die ungehemmte Bevölkerungszunahme. Er forderte staatliche Geburtenkontrolle nach chinesischem Vorbild und beschwor die Notwendigkeit einer Öko-Diktatur.
Die Demokratie sei zur Lösung der Probleme nicht fähig, dafür denke sie zu kurzfristig. Nur eine autoritäre Herrschaft hätte den Mut und die langfristige politische Unabhängigkeit, um Konsumverzicht und eine drastische Geburteneinschränkung durchsetzen zu können. Fairerweise muss man anfügen, dass sich die ÖDP längst von diesem ideologischen Erbe befreit hat, so wie auch die Grünen, in deren Geburtsphase Gruhl (der auch einmal bei der CDU war) eine gewisse Rolle spielte.
Die Katastrophen wandeln sich. Das Argumentationsmuster »Heimat – bevorstehender Untergang – Notwendigkeit einer Diktatur« bleibt im rechten Denken aber stets gleich. Mich schaudert es, wenn braune Demagogen verstärkt auch Themen wie Nachhaltigkeit und regionale Erzeugerketten für ihre Zwecke zu kapern suchen. Die NPD beispielsweise räumt dem Natur- und Umweltschutz in ihrem Parteiprogramm einen hohen Stellenwert ein. Mit dem Slogan »Unsere Heimat, unser Auftrag!« zog sie 2011 in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern ein. Bis zu ihrem Ausscheiden 2016 war sie im Umweltausschuss vertreten. Die NPD propagierte dort einen tiefbraunen Regionalismus.
Viele neue Rechte propagieren eine natürliche Landwirtschaft im Sinne ihrer rechtsextremistischen und völkischen Ideologie. Gern verweisen sie darauf, dass das westdeutsche Naturschutzrecht bis in die 1970er-Jahre noch aus der Zeit der Nazis stammte. Auch dies ein Argument im Sinne der konstruktiven Mehrdeutigkeit: Wir nennen es gleich (Naturschutz) und meinen etwas völlig anderes (Rechtfertigung der Naziideologie).
Ökonomische Selbstversorgung (am plattesten: »Kauf nicht bei Fremden!«) ist nach rechten Vorstellungen die Voraussetzung für die Errichtung einer autokratischen Herrschaft. Die Vernetzung mit anderen Regionen und Ländern, wie sie unsere moderne Welt auszeichnet, schafft hingegen Abhängigkeiten, zwingt zu politischer Rücksichtnahme und Kooperation. Ein Graus für rechte Propagandisten und ihrer Angst vor der sogenannten »Überfremdung«.
Völlig anders das Weltbild der Slow-Food-Bewegung. Wir engagieren uns in über 160 Ländern für lokale Essenskulturen und -traditionen im Sinne einer größtmöglichen biokulturellen, agrarökologischen und kulinarischen Vielfalt auf diesem Planeten. Ein Beispiel dafür ist das globusumspannende Terra-Madre-Netzwerk der Lebensmittelgemeinschaften. Das Terra-Madre-Programm umfasst ein alle zwei Jahre stattfindendes internationales Austauschtreffen, regionale und nationale Treffen und einen internationalen Aktionstag, den Terra Madre Tag am 10. Dezember, mit dem Motto »Wir feiern das lokale Essen!“. Das Netzwerk gibt all jenen eine Stimme, die weltweit eine Alternative zur industriellen Landwirtschaft und der Vereinheitlichung und Standardisierung unserer Esskultur suchen. Zusammen engagieren wir uns für eine gute, saubere und faire Lebensmittelwirtschaft, lernen voneinander und fördern uns gegenseitig. Dazu gehört vor allem auch, über Grenzen hinweg zu denken und die Auswirkungen unserer Landwirtschaft und unseres Konsums auf die Ernährung anderer Menschen in anderen Ländern kritisch zu analysieren. Wir sehen uns als Teil einer internationalen Gemeinschaft. Unsere Heimat heißt Vielfalt!
Bleiben Sie weiterhin engagiert, kritisch und genussfreudig,
Ihre Ursula Hudson