Vielfalt statt Masse SFM 05/2014
Oans, zwoa, gsuffa! Auf dem Münchner Oktoberfest fließt das Bier in Strömen. Doch im Alltag hat sich das Verbraucherverhalten geändert. Die großen Bierbrauereien verzeichnen Umsatzeinbußen. Zwischen 2005 und 2013 ist der Pro-Kopf-Verbrauch nach Angaben des Brauer-Bundes von 115 auf 106 Liter gesunken. Ein Ende des Abwärtstrends ist nicht in Sicht, im Gegenteil: Allen Prognosen zufolge wird er sich fortsetzen, trotz millionenschwerer Werbe-Etats. Offensichtlich haben immer mehr Menschen das industriell gefertigte Einheitsbier satt.
Muss man sich Sorgen machen um das Bier? Nein. Denn erstens ist es mit über 50 Prozent Marktanteil immer noch das alkoholische Lieblingsgetränk der Deutschen. Und zweitens gibt es auch einen deutlichen und sehr erfreulichen Aufwärtstrend: nämlich für kleine und mittlere Brauereibetriebe, die jenseits des Mainstreams brauen. Probleme mit dem deutschen Reinheitsgebot bekommen sie deswegen nicht: Denn dieses weltweite Gütesiegel ist nicht schuld daran, dass es so schlecht bestellt ist um die Geschmacksvielfalt beim industriell gefertigten Bier. Hopfen, Malz, Hefe, Wasser – bei allen vier erlaubten Zutaten gibt es genug Varianten, um ein charaktervolles, unverwechselbares Bier herzustellen; man muss sie nur nutzen. Und das wird bei den Marktführern versäumt.
Handwerklich arbeitende Kleinbrauereien brauen gut, sauber und fair, wie es den Vorstellungen von Slow Food entspricht. Sie verarbeiten Getreidesorten aus der Region, oft auch solche, die mangels Nachfrage sonst ausgestorben wären. Sie fördern den Anbau von unterschiedlichen Hopfenarten, beziehen ihr Brauwasser aus eigenen Mineralquellen oder bereiten es ohne Chemikalien auf. Sie verzichten auf flüssigen Hopfenextrakt und Prozesshilfestoffe wie das Stabilisierungsmittel PVPP, sie filtrieren das Bier gar nicht oder weniger stark. Und sie lassen ihrem Bier die nötige Zeit im Reifetank, je nach Sorte bis zu drei Monaten. Gutes Bier ist slow.
Bier ist ein altes Kulturgut, das älteste alkoholische Getränk der Menschheit. Im vierten Jahrtausend vor Christus hat vielleicht einmal ein Sumerer ein Brot im Regen vergessen, dass dann zu gären begann: Schon war das Bier, das »flüssige Brot«, erfunden! Die ägyptischen Arbeiter stärkten sich beim Bau der Pyramiden mit dem Gerstengebräu, und die alten Römer verschmähten ihn nur, weil die Germanen, die verachteten Barbaren, ihn so mochten. Die Mönche des Mittelalters brachten sich mit Bier beschwingt über die Fastenzeit und produzierten bald auch für den Verkauf. Das Interesse am Produkt Bier sinkt auch heute nicht – es wächst. Masse verliert, Vielfalt triumphiert! Die Menschen setzen sich wieder mehr mit dem Produkt auseinander, sie sind neugierig geworden auf unterschiedliche Geschmackserlebnisse, sie schätzen regionale Vielfalt.
Besonders Wagemutige probieren auch mal ein Bier mit Schokolade und Minze. Oder mit Safran und schwarzem Pfeffer. Spielsinn und Kreativität stehen besonders bei innovativen italienischen Brauereien hoch im Kurs, die sich von der großen Tradition belgischer Gewürzbiere inspirieren lassen. Deutsche Brauer, die mit Gewürzen oder Früchten experimentieren, müssen wegen des Reinheitsgebots ihr Getränk anders deklarieren – und haben es vielleicht hierzulande etwas schwerer, Abnehmer zu finden. Noch. Doch die neugierigen Bierfreunde, darunter viele jungen Menschen, werden mehr.
Wie so oft, es sind die Verbraucherinnen und Verbraucher, die bestimmen, wohin die Reise geht. Schön, dass sie wegführt vom standardisierten Geschmack. Schön, dass alte Bauereitraditionen, regionale Besonderheiten und charaktervolle Sortenvielfalt wieder eine Chance haben. Slow Food unterstützt die Produzenten, die das Wissen um Herstellungsprozesse in handwerklicher Tradition und mit möglichst wenigen Zusatzstoffen bewahren, lebendig halten, weiterentwickeln. Beim Bier wie bei allen anderen Lebensmitteln.
In diesem Sinne, Prost! Bleiben Sie weiterhin engagiert, kritisch und genussfreudig,
Ihre Ursula Hudson