Allgäuer-Oberschwäbische Seele in traditioneller Herstellung
Kleinbrot als Brauchtumsgebäck
Arche-Passagier seit 2018
Unterstützt von Slow Food Allgäu und Slow Food Oberschwaben
Beschreibung des Passagiers
Die Seele ist ein längliches Kleinbrot, das in seiner traditionellen Herstellungsweise viel Zeit und Können benötigt. Die wenigen verbliebenen Bäcker, die die Seele auf traditionelle Weise herstellen, verwenden eine Mischung aus Weizen- und Dinkelmehl. Kennzeichnend für ihre Herstellung ist zum einen die lange, bis zu 24 Stunden dauernde Teigführung. Dabei wird der Teig mehrfach gehen gelassen und zwischendurch mehrmals von Hand kräftig auf die Arbeitsfläche geschlagen und gefaltet. Schließlich werden die Seelen von Hand aus dem genetzten (befeuchteten) Teig ausgebrochen und geformt. Gängiger als „genetzt“ ist der Ausdruck „nassbacken“, eine Kurzform für nass gebacken. Der ausgebrochene Teig wird in einem „Seelenschießer“, einem langen hölzernen Schieber mit einer Rinne in der Mitte für den Teig (im Bild), in den Ofen eingeschossen und direkt auf dem Ofenboden ausgebacken. Traditionell wird die Seele außerdem mit Kümmel und grobkörnigem Hagelsalz bestreut.
Gefährdung des Passagiers
Während Seelen inzwischen bundesweit auch von Großbäckern industriell produziert und vertrieben werden, ist ihre traditionelle Herstellungsweise bedroht. Sie wird derzeit nur noch von wenigen handwerklichen Bäckern praktiziert, die im Württembergischen Allgäu und in Oberschwaben ansässig sind. Denn dieses Verfahren ist sehr aufwändig, benötigt zwei Personen zur Herstellung des einen Produkts, handwerkliches Geschick und Erfahrung. Damit passt es immer weniger in moderne Backabläufe und Auslieferungspläne mitunter großer Filialnetze. Zudem können keine Backmischungen oder Teiglinge verwendet werden.
Erwerbbarkeit des Passagiers
Nach traditioneller Art gebackene Seelen sind heute nur noch bei wenigen Bäckern erhältlich.
Regionale Bedeutung des Passagiers
Die Seele zählt zu den so genannten Brauchtumsgebäcken. Name und Bedeutung des Gebäcks weisen auf einen kirchlichen, genauer gesagt einen katholischen Ursprung hin. Dort fällt die Seele unter die Gattung der so genannten Spendbrote, wie folgende Quelle verdeutlicht:
„Auf dem ältesten Gottesacker bei der Martinskirche bestatteten die Wangener über viele Jahrhunderte ihre Verstorbenen. Weit über den Tod hinaus beteten hier Generationen für das Seelenheil der Vorausgegangenen. Nach altem Brauch wurden an den Jahrtagen der Verstorbenen und an Allerseelen „Seelen“-Brote gestiftet und über den Gräbern an die Armen gereicht“.
Dies ist der Auszug einer Inschrift am so genannten Seelenmal in Wangen i. A. des Künstlers Ubbo Enninga (im Bild). Nicht vielen Backprodukten dürfte es vergönnt sein, dass ihnen ein Denkmal gesetzt wurde. Im Fokus der seit 2002 existierenden Skulptur steht die Leiterspirale in Form einer Doppelhelix. Die Sprossen dieser Leiter bestehen aus paarweisen Original-Abgüssen von gebackenen Seelen. Bäcker und Müller, die bereits seit mehreren Generationen ihr Handwerk betreiben, sind noch mit dem bis Mitte des 20. Jahrhunderts gebräuchlichen Spruch vertraut, dass Seelen das „Elfeläuten nicht hören“ sollten. Dieses tägliche Elf-Uhr-Läuten steht im katholischen Kirchenritus für das „Allerseelenläuten“, es erinnerte die Gläubigen an die Toten und die eigene letzte Stunde. Tatsächlich hat das „Elf-Uhr-Läuten“ für die Seele wohl eher einen praktischen lebensmitteltechnischen Hintergrund. Seelen wurden früher oftmals nur frühmorgens gebacken und sollten genossen werden, bevor sie bis zum Nachmittag ihre Knusprigkeit und Frische einbüßten. Denn das auf die Seelen gestreute Hagelsalz zieht Feuchtigkeit und macht sie mit der Zeit weich. Die älteste bis dato auffindbare Quelle zur Seele im Verbreitungsgebiet Allgäu und Oberschwaben ist eine Bäckerordnung der Reichsstadt Ravensburg aus dem Jahr 1744. Dort wird festgelegt, dass Seelen nur einmal im Jahr in der Karwoche gebacken werden sollen. In Schmid’s Schwäbischem Wörterbuch von 1831 werden Seelen erwähnt und beschrieben als „eine besondere Art Weißbrot“, die nur am Allerseelentag gebacken werden. Im Jahr 1915 tauchen Seelen in der Oberamtsbeschreibung von Tettnang auf. Die Seele fällt dort unter „die rauheren Naßbächt, die genetzt werden. Als Sonntagsgebäck, besonders zum Bier im Wirtshaus, sieht man lange Salzstängel, die im Bezirk ‚Seelen‘ heißen“. In Wangen im Allgäu tauchen Seelen erstmals verbrieft im Jahr 1937 auf. Rektor Heinemann beschreibt das Gebäck in der Zeitschrift „Das schöne Allgäu“ als „lange, schmale, mit Salz und Kümmel bestreute Weißbrote“ und erwähnt, dass man die Seelen „in Oberschwaben und im Allgäu fast in allen Bäckereien wie auch in vielen Wirtschaften bekommen“ kann.
Die Tatsache, dass die Seelen bis vor wenigen Jahrzehnten im evangelisch-pietistisch geprägten Württemberger Unterland praktisch gänzlich unbekannt waren, untermauert einmal mehr die Vermutung, dass Seelen eine ursprünglich katholische Angelegenheit sind. Weder in der Landeshauptstadt Stuttgart noch in Tübingen oder in Ulm, als Eingangstor nach Oberschwaben, waren Seelen zu dieser Zeit verbreitet.
Im Allgäu entsprechen die Landesgrenzen weitestgehend auch den Grenzen des ursprünglichen Verbreitungsgebiets. Während im bayerischen Allgäu die Seele als ein „zugewandertes“ Backprodukt bekannt ist, finden sich im württembergische Allgäu und in Oberschwaben die Bäcker, bei denen Seelen noch nach traditioneller Art hergestellt werden.
Traditionell stammen alle Grundprodukte der Seele aus der Region, allen voran das Mehl. Die „Seelenschießer“ werden vor Ort von ausgesuchten Schreinerbetrieben einzeln angefertigt.
Geschmack des Passagiers
Die lange Teigführung, das Nassbacken sowie das Backen direkt auf dem Ofenboden mit Hilfe des „Seelenschießers“ tragen dazu bei, dass sich die für eine gute Seele charakteristischen Back- und Röstaromen ausbilden. Eine solche Seele hat eine knusprige, süddeutsch „rösche“ Kruste und ist innen saftig. Sie ist unverwechselbar im Geschmack und mit den industriell hergestellten Namensvettern keinesfalls vergleichbar.
Besonderheiten bei der Erzeugung und Weiterverarbeitung des Passagiers
Zutaten:
Weizenmehl und Dinkelmehl - das Verhältnis zwischen Weizen- und Dinkelmehl unterscheidet sich von Bäcker zu Bäcker, der Dinkelanteil liegt bei 25 bis 50% - Wasser, Hefe (0,4 - 5% auf das Gewicht des Mehls gerechnet) und Salz ca. 2%. Zusätzlich bedarf es grobkörnigen Salzes und Kümmels zum Bestreuen. Die Verwendung von Vorteig oder Sauerteig sowie von Malz bzw. Malzextrakt ist üblich. Die Herstellung erfolgt ohne weitere Backhilfsmittel oder Zusatzstoffe (E-Nummern).
Herstellung:
Die oben genannten Zutaten werden zu einem Teig verarbeitet. Nach der Herstellung des Teiges erfolgt dessen langsame und lange Reifung, die bis zu 24 Stunden dauern kann. Anschließend wird dieser von Hand ausgebrochen, etwas in die Länge gezogen und direkt auf den mit Salz und Kümmel bestreuten Seelenschießer gelegt und (ohne weitere Stückgare) in den Ofen direkt auf den Ofenboden „eingeschossen“. Die Backtemperatur beträgt 200 - 250°C. Bäckt man sie heißer und schneller, werden sie weicher. Bäckt man sie hingegen kühler und länger, sind sie knuspriger.
In der heute verbreiteten „modernen“ Herstellungsweise wurden die folgenden handwerklichen Arbeitsschritte verändert:
1. Aus Rationalisierungsgründen werden die Teige nicht mehr von Hand, sondern maschinell aufgearbeitet. Dies macht es erforderlich, dass die Teige fester geführt werden. Die Seelenstücke werden nicht mehr per Hand aus dem Teig ausgebrochen und genetzt. Genetzte Teige haben den Vorteil, dass das Gebäck saftiger ist.
2. Wird in modernen Stickenöfen gebacken, dann liegen die Seelen auf Blechen mit Papier oder Folie. Dadurch erhalten sie weniger Rösche, als wenn sie wie in traditioneller Herstellung direkt auf der Ofenplatte gebacken werden.
Züchter*innen, Erzeuger*innen und Bezugsquellen
Eine Umfrage der Bäckerinnung in den Landkreisen Ravensburg, Biberach und Friedrichshafen zu Betrieben, die ihre Seelen nach dem hier beschriebenen traditionellen Verfahren herstellen, ergab folgendes Ergebnis:
Landkreis Ravensburg (Württembergisches Allgäu und Oberschwaben)
- Bäckerei Wolfgang Einhauser, 88353 Kisslegg
- Fidelis1505 GmbH Fidelisbäck, Paradiesstraße 3, 88239 Wangen
07522-795931; post@fidelis1505.de; www.fidelisbaeck.de
- Bäckerei Dietmar Glahs, 88287 Grünkraut
- Bäckerei Herrmann, 88339 Bad Waldsee
- Bäckerei Manfred Müller, 88213 Ravensburg-Schmalegg
- Bäckerei Edgar Raisch, 88326 Aulendorf
- Bäckerei Vogel, 88239 Wangen
- Bäckerei und Konditorei Wandinger, 88299 Leutkirch
Landkreis Biberach (Oberschwaben)
- Bäckerei Eisinger, 88400 Biberach
- Landbäckerei Engel, 88400 Biberach
- Stadt Café Hampp, 88416 Ochsenhausen
- Bäckerei Laux, 88427 Bad Schussenried Otterswang
- Bäckerei Zoll, 88444 Ummendorf
Links und Aktivitäten rund um den Passagier
>> Willkommensgruß Arche des Geschmacks: Die "Seele" vor dem Verschwinden retten
>> Slow Food Magazin: Allgäuer-Oberschwäbische Seele
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Bannerbild und Foto vom Füllen des Seelenschiebers: © Anton Heine GmbH
weitere Fotos: © Susanne Mölle