Ganztierverarbeitung in der Küche
Nach wie vor bevorzugt der durchschnittliche Kunde der deutschen Gastronomie Edelstücke und folgt hier auch bestimmten Trends in der gewünschten Zubereitung und Darreichungsform. Daher, so Aaron Hasenpusch, läuft ein großer Teil der Gastronomie dem Konsumverhalten seiner Gäste hinterher und hat Mühe, auch aus ökonomischen Gründen heraus, eigene Trends - wie zum Beispiel den der Ganztierverarbeitung - umfassend zu setzen.
Das Restaurant Klinker versucht diese Spirale zu durchbrechen. Die Speisekarte wird anders als gewohnt aufgesetzt und bleibt dadurch sehr flexibel für die Küche. So steht auf der Karte statt „Rinderfilet“ alleine das Wort „Rind“. Das Küchenteam kann dann, je nach Produktverfügbarkeit, das aus Rind zubereitete Essen anpassen. Mit etwas Glück gibt es dann statt des altbekannten Entrecôte auch mal ein Rinderherz auf dem Teller.
Differenzen innerhalb der anwesenden Gastronomen zeigten sich spätestens hier. Auf dem Land, so der Einwand, sei die gewünschte Ganztierverarbeitung eine andere Herausforderung, da die Gäste sehr viel traditionellere Erwartungen an das Menü haben. In einem Punkt sind die Teilnehmenden sich jedoch einig: Es benötigt sowohl in der Stadt als auch auf dem Land Kreativität um das wertvolle Rindfleisch abseits der Edelteile angemessen zu verarbeiten.
Wer sich nicht mit Hackfleisch zufrieden gibt, dem bieten unter anderem neue Cuts, wie das Flat-Iron- oder das Flank-Steak, die vornehmlich aus den USA ihren Weg in die europäischen Küchen gefunden haben, neue Möglichkeiten.Durch diese neuen Cuts erschließen sich ganz neue Absatzmärkte und Einnahmequellen.
Bedeutung der Aus- und Weiterbildung
Um diese für sich zu erschließen bedarf es jedoch entsprechender Weiterbildung sowohl für die Metzger*innen als für die Köch*innen. Künftig braucht es Wissen, woher die verwendeten Fleischteile kommen und wie Tiere gehalten werden. Auch braucht es eine übergreifende Aus- und Weiterbildung zwischen den Handwerken. Dies jedoch fehlt aktuell an den Berufsschulen.
Ein Ansatz, um diese Lücken in der staatlichen Ausbildung auszugleichen und die Ausbildung der Köch*innen von morgen ganzheitlicher zu gestalten, ergibt sich durch betriebseigene Kursangebote für Auszubildende, auch in Kooperation mit anderen Gastronomien. Ein „altes“ Handwerk ist zwar schön, es muss jedoch auch in die „neue“ Welt transportiert werden, so ein Kursteilnehmer. Dazu zählt auch das Erlernen der Kunst und der Aufbau von Erfahrung wie es gelingen kann scheinbar uninteressante Fleischteile spannend auf den Teller zu bringen.
Vernetzung
Einen wichtigen Baustein für eine zukunftsfähige Ernährungswirtschaft ist die Vernetzung der Akteure. „Wir sind Glieder einer langen Kette, allerdings kennt ein Glied häufig nicht mehr das nebenliegende Glied und weiß was es tut. Sie sind aber trotzdem miteinander verbunden, ob sie es wollen oder nicht“, so ein Teilnehmer der Veranstaltung.
Ins Gespräch kommen und erfahren, wie die anderen Glieder der Wertschöpfungskette arbeiten und was sie benötigen, um gut wirtschaften zu können, ist ein zentraler Aspekt. Gibt es diesen Austausch nicht, würde eine riesige Chance wie beispielsweise der Aufbau langfristiger Kooperationen vertan.
In den vergangenen zwei Jahren waren viele Unternehmen der unterschiedlichen Branchen zudem gezwungen neue Wege einzuschlagen. Die Direktvermarktung von Lebensmitteln, auch über das Internet, hat an Bedeutung gewonnen und Restaurants sind zu digitalen Tante Emma-Läden geworden. Für die Ganztierverwertung bringen diese Entwicklungen Vorteile, so durch das Angebot verarbeiteter und konservierter Fleischprodukte. Und auch hier sind langfristige Kooperationen zwischen der Landwirtschaft, Metzgereien und der Gastronomie wichtig und hilfreich. So können bei der Direktvermarktung von Verbraucher*innen gewünschte Teilstücke gezielt vermarktet werden und die anderen Teile an die Gastronomie oder an die Gemeinschaftsverpflegung geliefert werden. Gerade bei der Gemeinschaftsverpflegung bietet sich – trotz der geforderten Warenwirtschaftssysteme ein guter Absatzmarkt, welcher sowohl für die Produktionsausrichtung der Landwirtschaft und Verarbeitung, als auch für das Konsumverhalten eine große Lenkungswirkung haben könnte.
Wirtschaftlichkeit
Besonders der Landwirtschaft hilft die Verlässlichkeit durch die Zusammenarbeit mit den anderen Stufen der Wertschöpfungskette. Das ganze Rind zu verarbeiten bedeutet den ganzen Wirtschaftsprozess zu durchdenken. Die individuellen Gegebenheiten und Bedürfnisse, auch finanzielle, müssen durch Kommunikation zwischen den Beteiligten transparent gemacht werden, um umsetzbare und sinnvolle Handlungswege zu erarbeiten. Eine ganzheitliche Kommunikation nach innen und außen sowie eine Unternehmenskultur mit Fokus auf gegenseitige Unterstützung sind hierbei wichtige Bausteine für eine erfolgreiche Kooperation. Zudem kann mit kleinen Veränderungen im Unternehmen, beispielsweise das Einbeziehen aller Mitarbeitenden in alle Meetings, schon eine große Wirkung erzielt werden, so die Teilnehmenden.
Bildung der Konsumierenden
Alle anwesenden PraktikerInnen beschäftigt die Frage, wie diese Bildung im Alltag der Gastronomie umgesetzt werden kann. Wenn über Ganztierverarbeitung gesprochen wird, heißt das nicht, dass alle Menschen in Zukunft regelmäßig Innereien konsumieren müssen, egal ob in der heimischen Küche oder außer Haus. Der Anteil von Innereien an der Gesamtmenge an Ausschlachtung eines Rindes bleibt weiterhin vernichtend gering. Zudem gibt es eine Vielzahl an Wegen die Ganztierverwertung umzusetzen.
Für Menschen, die kochen, benötigt es Anregungen, wie Rinderteile abseits der Edelstücke verarbeitet werden können. Die Vermittlungswege, ob Kochbücher, Kurse, Fernsehsendungen, Videos oder Podcasts, müssen dabei nicht neu erfunden werden. Es benötigt jetzt die Vorbilder, die diese neuen, gemeinschaftlichen und ganzheitlichen Wege einschlagen und vorleben. Die Gastronomie kann hierbei eine wichtige Rolle übernehmen – mit Beispielen auf der Speisekarte, die Lust machen auf ein neues, anderes Fleischerlebnis: mit ungewohnten Fleischteilen und Fleischportionen, die der Kostbarkeit des Produktes angemessen sind. Weniger Menge, aber ein Mehr an Genuss.