Projekt: Umweltgerechtigkeit und Nachhaltigkeit in der Milchwirtschaft
„Gut, sauber und fair“ sollen unsere Lebensmittel sein. Was das konkret bei Milch und Milchprodukten heißt, das hat Slow Food in seinem Projekt zur zukunftsfähigen Milchwirtschaft erarbeitet. Das vom Umweltbundesamt unterstützte Projekt zeigt gute Praxisbeispiele einer umweltgerechten und nachhaltigen Milchwirtschaft. Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick:
Milch ist mehr als nur eine weiße Flüssigkeit, die aus der Tetrapak-Tüte heraus in den Kaffee gegossen werden kann. So umstritten für manche der Konsum von Milch und Milchprodukten auch sein mag, so wenig Bewußtsein haben die meisten von uns über die mannigfaltigen Beziehungen, die wir mit jedem Schluck Milch, jedem Stück Käse und jedem Löffel Joghurt eingehen. Die einen denken an Butterberge, Sojaimporte und Milchpulverexport nach Afrika. Andere wiederum haben die Nöte der Milchbäuerinnen und -bauern vor Augen, ihre Demonstrationen für bessere Preise und den rasanten Wandel hin zu immer größeren Höfen. Und wenn Verbraucherinnen und Verbraucher direkt befragt werden, wünschen sie sich Kühe auf der Weide.
Aber was genau ist „gut, sauber und fair“?
Slow Food Deutschland hat sechs Workshops durchgeführt – am Bodensee, im hohen Norden, im Osten und im Westen – immer auf Milchbetrieben. Eingeladen wurden weitere Milchbäuerinnen und -bauern, Händlerinnen und Händler sowie Verarbeiterinnen und Verarbeiter und mit ihnen haben wir diskutiert, haben uns belehren lassen, haben genauer nachgefragt und im Kuhstall und in den Käsereien uns angeschaut, wie es aussehen könnte: die Erzeugung und Verarbeitung von guter, sauberer und fairer Milch. Wir haben entdeckt, dass es wenige – aber grundlegende Kriterien gibt und viele mögliche Ziele, die aktuell nur von wenigen Betrieben erreicht werden können und wenn, dann auch nicht alle Ziele gleichzeitig. Und wir haben gelernt, wie wir als Organisation künftig solche Betriebe auf ihrem Weg unterstützen könnten. Das Interesse an unserer Arbeit war groß.
Die Kuh frisst Gras
Die Kuh frisst Gras und verwandelt dies mit Hilfe ihrer Mikroben im Pansen zu Eiweiß, Fett und Milchzucker bzw. zu Milch. Kühe können etwas, das wir Menschen nicht können und es gibt immer noch viele Kuhrassen, die das besonders gut können. Zu ihnen zählt zum Beispiel der Arche-Passagier Original Braunvieh im Allgäu. Es gehört zu den bedrohten, weil von den Hochleistungsrassen verdrängten Rinderrassen. Verdaut die Kuh Gras, dann tritt sie nicht in eine Nahrungskonkurrenz mit dem Menschen. Gras wächst dort, wo kein Ackerbau zur Ernährung der Menschen möglich ist, wo es zu nass, zu trocken, zu steinig oder zu steil ist. Diese einfache Wahrheit wurde durch Wissenschaft und Beratung beiseitegeschoben, um Kühe mit konzentriertem, aus Ackerland gewonnenem Kraft- und insbesondere Eiweißfutter wie Soja zu höheren Milchleistungen zu bringen. Höhere Milchleistungen, so das Credo, macht die Milch pro Liter günstiger und neuerdings wird behauptet, das sei auch noch klimafreundlicher. Verwandeln kann die Kuh auch das eiweißreiche Ackerfutter, Lupinen, Kleegras etc. das im ökologischen Landbau zwingend notwendig ist, um die Fruchtfolge aufzulockern und den Boden mit Stickstoff zu versorgen, den die Leguminosen aus der Luft holen und in ihren Wurzelknöllchen binden.
Wir sprechen nicht vorrangig über Herdengrößen und Betriebsgrößen sondern über eine Grundbedingung, der Anbindung einer Lebensmittelerzeugung an den Boden und den Verzicht „Boden und Nährstoffe zu importieren“ über den Kraftfuttersack. Respektieren wir diesen Grundsatz, Milch aus dem sogenannten Grundfutter (Wiese, Weide, Ackerfutter) zu erzeugen, dann gibt es auch keine Überschüsse an Milch, keine 10.000 Kilogramm pro Kuh und Jahr – eher 6.000 Kilogramm, dafür jedoch lebt die Kuh länger und ihre Lebensleistung kann die jährliche Minderleistung etwas kompensieren. Einzelbetrieblich kann sich das rechnen. Aufs ganze Milchsystem hin hat es nur Vorteile: Weder werden zu viel (importierte) Nährstoffe über Mist und Gülle wieder auf das Land und auch ins Grundwasser gebracht noch gibt es dann ein Zuviel an Milch, die auf dem Markt Druck ausübt auf die Erzeugerpreise.
Weidegang der Kühe ist das Beste – für die Kühe, ihr Wohlbefinden, ihre Gesundheit (vor allem auch der Klauen), ihre Fruchtbarkeit und Langlebigkeit und für die erzeugte Milch (Stichwort: Omega-3-Fettsäuren und Geschmack). Nicht alle Milchviehbetriebe haben Weideland in einer für Kühe gut erreichbaren Nähe oder es gibt keinen guten Zugang zu weiterem Pachtland aufgrund der gestiegenen Preise. Sie haben vielleicht nur einen begrünten Auslauf. Besser als nichts! Aber Weidehaltung bleibt eines der wichtigsten Ziele und sie dient – gutes Weidemanagement vorausgesetzt – auch der Biodiversität, wenn auf Hochleistungen verzichtet wird (aber dies haben wir ja gerade schon als eine zentrale Grundbedingung genannt). Jeder Kuhfladen ist ein Insektenparadies und mit Hilfe angepasster Mahd (nicht so geringe Schnitttiefe, Streifenmahd, Balkenmäher) dankt uns auch die Flora der Wiese und Weide mit Vielfalt und Schönheit.
Eine Art tiergerechtes „Sahnehäubchen“ ist die mutter- und ammengebundene Kälberaufzucht. Üblicherweise werden Kälber kurz nach der Geburt von ihren Müttern getrennt und mit Milchpulver aufgezogen. Inzwischen haben einige Betriebe experimentiert und gute Lösungen entwickelt, wie Kälber länger bei ihren Müttern oder bei Ammenkühen bleiben und die Mutterkühe dennoch gemolken werden können. Die Kälber danken das mit robusterer Gesundheit. Sie ahmen die Mütter nach, beginnen schon früh Grundfutter zu fressen, was wiederum die Pansenentwicklung begünstigt. Die klassischen Kälberkrankheiten wie Durchfall und Atemwegserkrankungen sind selten. Entsprechend gering sind die Tierarztkosten. Ähnlich der Weidehaltung verlangt eine solche Umstellung einiges vom Betrieb. Daher bleibt es ein „Sahnehäubchen“ als Ziel, aber für Slow Food ein wichtiges und wünschenswertes
Frische und naturbelassene Milch
Wenigen Verbraucherinnen und Verbrauchern ist bewusst wie sehr diese „weiße Flüssigkeit im Tetrapak“ sich bereits entfernt hat von dem Stoff, den eine Milchkuh in ihrem Euter entstehen lässt. Es gibt lange Phasen der Kühlung und Lagerung auf den Höfen (da der Tankwagen oft nur noch alle drei Tage kommt), die Thermisierung nach Ankunft in der Molkerei, erneute Lagerung, Separierung von Fett und Magermilch, Reinigung der Milch über Bakteriofugen oder Anlagen der Mikrofiltration, Durchführung der vorgeschriebenen Pasteurisierung (72 Grad für fünf Sekunden) und Rückführung von Fett bis auf den gewünschten Anteil zum Beispiel von 3,5 Prozent. Es erfolgt erneute Lagerung und Transport zum Kühlregal des Einzelhandels. Von dieser Milch erwarten wir Verbraucherinnen und Verbraucher, dass sie „frisch“ ist und zugleich sich lange noch im Kühlschrank hält. Frisch? Höchstens nicht verdorben!! Denn diese Milch ist schon Tage alt und, dass sie nicht längst verdorben ist, ist der hohen Hygiene beim Melken und Bearbeiten in der Molkerei sowie den Hitzebehandlungen geschuldet.
In allen Gesprächen haben uns die Milchbäuerinnen und -bauern darauf aufmerksam gemacht, dass wenn Verbraucherinnen und Verbraucher wirklich frische Milch möchten, dass sie dann direkte Wege zum Hof nehmen können und es außerdem zahlreiche von Höfen inzwischen aufgebaute eigene Milchlieferdienste gibt. Nur diese Milch ist wirklich frisch: abends und morgens gemolken, dann pasteurisiert und ausgeliefert oder in den Milchautomaten gefüllt. Längere Wege gibt es hier nicht. Die Münchner Leiterin der Allergie-und Asthmaforschung, Professor Dr. Dr. Erika von Mutius, sagte uns, dass der gesundheitliche Wert der Milch auch wesentlich von ihrer Frische abhängt.
Naturbelassene Milch hat einen hohen eigenen Wert und es gibt zahlreiche Studien und Erfahrungsberichte, die von einem positiven Einfluss auf die Gesundheit sprechen. Mit aus diesem Grund wurde einst in Deutschland - als eine Maßnahme gegen die hohe Kindersterblichkeit in den Städten – die Vorzugsmilch entwickelt. Sie ist eine der besten Milchen und eine der am besten tierärztlich überwachten Milchen. Jedoch: Milch ist ein wässriges Produkt mit Inhaltsstoffen, die auch von vielen Bakterienarten gemocht werden. Mit Hilfe dieser Bakterien erzeugt der Käser besten Käse und auch Joghurt und Sauermilch. Unkontrollierte Bakterien verderben die Milch und können unter Umständen Krankheitserreger für den Menschen sein. Auch in unseren Workshops führten wir diese Debatte um die Milch, denn unser Anliegen war: Wie können Verbraucherinnen und Verbrauchern einen besseren und einfacheren Zugang bekommen zu dieser naturbelassenen Milch, sei sie Vorzugsmilch oder einfach Milch ab Hof? Und wir haben einen Kompromiss gefunden: Wir werden uns dafür einsetzen, dass die beste der Milchen, die Vorzugsmilch, weniger willkürlich durch Betriebssperrungen leiden muss (was dazu geführt hat, dass wir kaum noch Vorzugsmilchbetriebe in Deutschland haben) und das gesamte Kontrollsystem klaren europäischen Risikoauffassungen folgt. Zugleich wäre es gut, wenn, wie bereits in anderen europäischen Ländern praktiziert, die Rohmilch-Abgabe am Hof aufgelockert werden könnte: Milchautomaten dürften dann stärker in Verbrauchernähe gelangen. Im Gegenzug müsste der abgebende Betrieb ein entsprechendes Eigenkontrollsystem vorweisen, das mehr ist als „nur“ die Milchkontrolle der Molkerei. Ähnlich wie für die Vorzugsmilchbetriebe könnten darin regelmäßige Kontrollen auf Krankheitserreger vorgeschrieben sein.
Viele Wege zur guten Milch
Ein weiteres Ergebnis der vielen Gespräche und Hofbesuche war: Es gibt viele Wege zur guten Milch zu gelangen: Milchautomaten sind nicht der schlechteste Weg, denn die Milch ist frisch. Vorzugsmilch darf nur verpackt abgegeben werden und nicht lose über einen Automaten. Noch – denn dafür könnten wir uns einsetzen! Auf der Suche nach eigenständigen Wegen raus aus der vollständigen Abhängigkeit von den Molkereien, haben viele Betriebe inzwischen eigene Hofmolkereien aufgebaut. Wie einst der Milchmann, liefern sie pasteurisierte Milch und Milchprodukte direkt in die Haushalte oder aber sie beliefern den regionalen Lebensmitteleinzelhandel und den Naturkostfachhandel. Kennengelernt haben wir auch eine Molkerei, die angesichts drohender Schließung von Bäuerinnen und Bauern übernommen und in eine Erzeuger-Verbraucher-finanzierte Genossenschaft überführt wurde. Noch einen Schritt weiter gehen Betriebe, die ihre Milchwirtschaft in der Form solidarischer Landwirtschaft führen und in der Hofmolkerei erzeugte Produkte an ihre Anteilshaberinnen und Anteilshaber abgeben.
Zugleich haben wir gesehen, dass die bisher von Slow Food Deutschland eingenommene Haltung gegenüber dem Milchhandwerk sehr gut beibehalten werden kann: So wird ein Verzicht auf eine Technologie (z.b. Bakteriofugen) und auf Zusatzstoffe (wie Lysozym, Calziumchlorid, Nitrat), die lediglich der Standardisierung des Endproduktes und seiner längeren Haltbarkeit dienen gefordert. Wir Verbraucherinnen und Verbraucher sind jedoch herausgefordert: Naturprodukte schwanken mit den Jahreszeiten, der Käse hat eine lebendige Rinde und die Haltbarkeit ist auch schon mal eingeschränkter verglichen mit dem toten Industrieprodukt.
Und das ist keine Träumerei. Die Hofkäserinnen und -käser, die uns ihr Produkt haben kosten lassen, sie beweisen es täglich, dass es geht und dass sie nur so einen Wettbewerbsvorteil gegenüber dem Industriekäse und seinen Absatzwegen erreichen können.
Die Grenze, die wir ziehen liegt genau hier: Ultrahocherhitzte Milch – ESL-Milch (sogenannte: länger haltbare Milch, die bis zu drei Wochen Haltbarkeit erreicht durch (1) Hocherhitzung oder (2) Mikrofiltration) – standardisierter Käse vom Industrieband – Milchpulver aller Art. Das ist unsere Grenze nach „unten“, hier sagen wir nein im Sinne von „gut, sauber und fair“– alle anderen Wege nach oben sind offen.
Wir möchten Betriebe unterstützen, die:
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sich auf den Weg machen zu einer nachhaltigen, weil an den Boden, das Grundfutter und die Weide gebundene Milcherzeugung.
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eine mutter- oder ammengebundene Kälberhaltung umsetzen oder anstreben.
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frische Milch den Verbrauchern, d.h. naturbelassen (Roh-)milch, Vorzugsmilch und pasteurisierte Milch liefern.
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die sich für naturbelassene Milch einsetzen und diese den Menschen wieder zugänglich machen.
Eine der wesentliche Hilfen wird sein, dass wir Verbraucherinnen und Verbraucher bereit sind, den Preis zu bezahlen, den diese Milch wert ist: Einen Preis, der den arbeitenden Menschen auf den Höfen ein gutes Einkommen aus der Milch erzielen lässt. Das ist fair und gibt nachhaltiger Milchwirtschaft eine Zukunft.
Text von Dr. Andrea Fink-Keßler und Andrea Lenkert-Hörrmann
Workshop-Themen:
1. „Direkt und fair“: Neue und alte Wege der Vermarktung.
Workshop-Bericht hier lesen
2. „Gute Milch von gesunden Tieren“: nachhaltiges Wirtschaften in regionalen Kreisläufen
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3. „Die gute Milch“: Rohmilch, Vorzugsmilch und ihr neuer Vertriebsweg der Milchautomaten
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4. „Das gute Milchprodukt“: Käse und handwerkliche Milchverarbeitung
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5. „Gutes Wirtschaften“: ökonomische, ökologische und soziale Nachhaltigkeit der verschiedenen Wirtschaftsstile und Betriebsgrößen
6. „Gute Effekte auf die Umwelt“: Milchwirtschaft und die Förderung von Biodiversität und nachhaltiger Ressourcennutzung. Workshop 6 wurde in Form von Expertengesprächen durchgeführt.
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Dieses Projekt wird gefördert durch das Umweltbundesamt und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Die Mittelbereitstellung erfolgt auf Beschluss des Deutschen Bundestages.
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Bilder © Ingo Hilger