Das Verständnis für die Agrarökologie stärken - von Edward Mukiibi
Als ich im vergangenen Jahr an der »Wir haben es satt!«-Demo in Berlin teilnahm, konnte ich mir ein Bild von der Vitalität der sozialen Bewegungen in Deutschland machen, die sich für ein nachhaltiges Lebensmittelsystem einsetzen und mit Slow Food Deutschland zusammenarbeiten. Das Interesse der deutschen Verbraucher*innen an umweltfreundlich erzeugten Produkten wächst, über 14 Prozent aller landwirtschaftlichen Höfe arbeiten ökologisch, immer mehr landwirtschaftliche Flächen werden umweltfreundlich ohne Pestizide und Kunstdünger bewirtschaftet. Die Veränderungen, die sich in der deutschen Lebensmittellandschaft vollziehen, können weltweit erhebliche Auswirkungen haben, da andere Länder den Erfolg Deutschlands bei der Reduzierung der chemisch- synthetischen Landwirtschaft und der Steigerung des Konsums gesunder Lebensmittel nachahmen wollen. Die erzielten Fortschritte kommen nicht nur der Umwelt und der öffentlichen Gesundheit im Lande zugute, sondern sind auch ein deutliches Zeichen für die Durchführbarkeit und Bedeutung der Einführung nachhaltigerer Landwirtschaftsmodelle weltweit.
Trotz dieser guten Nachrichten: Das Konzept der Agrarökologie mit seiner Betonung ganzheitlicher und ökologischer Prinzipien ist immer noch nicht so bekannt oder umgesetzt, wie es sein könnte. Dies ist zum Teil auf die Dominanz der konventionellen industriellen Landwirtschaft zurückzuführen, die seit Jahrzehnten im Mittelpunkt von Forschung, Bildung und politischer Unterstützung steht. Infolgedessen wissen sowohl viele Verbraucher*innen als auch politische Entscheidungsträger* innen möglicherweise nicht ausreichend, welche potenziellen Vorteile die Agrarökologie bei der Bewältigung von Herausforderungen wie Umweltzerstörung und sozialer Ungerechtigkeit hat. Ein weiterer Faktor, der das Wachstum der Agrarökologie behindert, ist der Mangel an speziellen Bildungs- und Ausbildungsprogrammen. Einige Universitäten forschen zwar zu agrarökologischen Prinzipien, aber es gibt nur wenige Studiengänge, die sich explizit darauf konzentrieren. Dies schränkt die Ausbildung von qualifizierten Arbeitskräften ein.
Es gibt jedoch Anzeichen dafür, dass sich die Situation zum Besseren wenden könnte. In den vergangenen Jahren hat das Interesse an alternativen Lebensmittelsystemen zugenommen – das hat nicht nur zum Entstehen verschiedener Basisinitiativen und sozialer Bewegungen geführt, sondern auch zu politischen Diskussionen über die Agrarökologie. Auch die »Strategie Ökologischer Landbau 2030« der deutschen Bundesregierung, die darauf abzielt, den Anteil der ökologischen Anbauflächen in Deutschland bis 2030 auf 30 Prozent zu erhöhen, ist ein Schritt in Richtung eines ganzheitlicheren Ansatzes für eine nachhaltige Landwirtschaft – obwohl die Agrarökologie nicht ausdrücklich erwähnt wird.
Es wird entscheidend sein, das Bewusstsein und das Verständnis für die Agrarökologie in der Öffentlichkeit, bei politischen Entscheidungsträgern und in Bildungseinrichtungen in Deutschland und weltweit zu stärken. Slow Food ist bestrebt, dazu beizutragen – nicht nur um die Nachhaltigkeit des heimischen Lebensmittelsystems zu verbessern, sondern auch um den globalen Übergang zu einem gerechteren und widerstandsfähigeren Landwirtschaftsmodell zu unterstützen. Wie Sie vielleicht wissen, hat Slow Food Deutschland dieses Jahr ein Papier mit Fragen und Antworten zum Thema Agrarökologie veröffentlicht. Auch der Slow Food Agrarökologie-Brief ist vor Kurzem erschienen. Ich lade Sie ein, sich zu informieren und Ihr Wissen weiterzugeben!
von Edward Mukiibi, Präsident von Slow Food International
erschienen im Slow Food Magazin 05/2024