Mit Slow Food gut Kirschen essen: 46 traditionelle Kirschsorten aus dem Oberen Mittelrheintal stehen unter dem Schutz der Arche
Bopparder Krächer, Geldklose, Perle von Filsen, Westfälische Braune Leber oder Minister von Podbielski – alte Kirschsorten mit diesen klangvollen Namen suchen die meisten Verbraucher*innen heute vergeblich. Dabei prägten Kirschbäume bis in die 1960er Jahre hinein maßgeblich das Landschaftsbild des Oberen Mittelrheintals. Insgesamt zählt die Region fast 90 Kirschsorten, die ältesten stammen aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Diese Vielfalt und die passenden klimatischen Bedingungen machten das Mittelrheintal zu einem der größten Kirschanbaugebiete Deutschlands. Der wirtschaftliche Erfolg des ‚Kirschbooms' prägte das Alltagsleben vieler Familien; Kirschmärkte und -feste dominierten das Dorfleben. Aushängeschild der Mittelrhein-Kirschen war die 'Geisepitter'; sie ist für einheimische Gourmets bis heute die beste Einkochkirsche.
Mit den veränderten Ansprüchen des Handels, seiner Nachfrage nach einheitlicher, transportfester Ware sowie sinkender Abnahmepreise v. a. durch südeuropäische Konkurrenz fand die Ära der Mittelrhein-Kirschen in den 1960er Jahren sukzessive ein Ende. Inzwischen sind nach Erhebungen durch Dr. Annette Braun-Lüllemann allein über 80 Prozent der Süßkirschsorten gefährdet. Auch das Wissen um die alten Sorten geht verloren, weil die meisten der alten Obstanbäuer*innen im Rentenalter oder schon verstorben sind.
Diesen kulturellen und kulinarischen Verlust möchte der Zweckverband Welterbe Oberes Mittelrheintal aufhalten und entwickelte dafür u. a. eine Spezialitätenmarke für Kirscherzeugnisse aus der „Mittelrhein-Kirsche". Passionierte Kirschfreund*innen und Erzeuger*innen stärken mit Picknicks und Genuss-Wanderungen entlang des „Kirschenpfads Filsen" das Bewusstsein für die Region als traditionelle Obstbauregion. Hinzu kommen Schnitt- und Pflegeseminare sowie Bildungsangebote für Schulen.
Dieses Engagement unterstützt auch Slow Food Deutschland ab sofort. Produkte, die zu 100 Prozent aus den in die Arche aufgenommenen Sorten bestehen, können mit der Arche des Geschmacks beworben werden. Gerhard Schneider-Rose, Leiter der Arche-Kommission, begründet das Slow-Food-Engagement für die Kirsche: „Es ist heute richtig schwierig, frische Kirschen zu kaufen, die weder durch halb Europa gereist sind noch dem Standard von groß, makellos und lange haltbar entsprechen. Diese Umstände unterstreichen aus Slow-Food-Sicht die Leistung des Zweckverbands Weltkulturerbe Oberes Mittelrheintal sowie die Notwendigkeit zu handeln. Er hat ein beispielhaftes Netzwerk mit Vertreter*innen aus Gartenbau, Obstverarbeitung, Tourismus und Bildung geknüpft. Das lässt auf eine zeitgemäße Wiederbelebung der Tradition hoffen."
» Details zur den Traditionellen Kirschsorten inkl. Bezugsquellen.