Tatort Kölle: Erste deutsche Arche-Speisekarte
Es war eine eindrucksvolle Premiere: Zum ersten Mal seit Bestehen der Arche des Geschmacks, einem internationalen Projekt der Slow Food Stiftung für Biodiverstität, servierte ein deutsches Restaurant seinen Gästen einen ganzen Tag lang fast ausschließlich Gerichte, die Produkte des Rettungsschiffs enthielten. Für die Arche-Speisekarte zum Terra Madre Tag 2013 wurde das Restaurant Ludwig im gleichnamigen Kölner Museum mit Standing Ovations gefeiert.
Tatort Köln am „Terra Madre Tag" von Slow Food, dem Tag, an dem die vielen kleinen ambitionierten Lebensmittelerzeuger, Bauern und Fischer rund um den Globus im Mittelpunkt stehen. Zentraler Veranstaltungsort des deutschen Events im internationalen Konzert war am 10. Dezember das „Ludwig“ im Kölner Museum. Und die Chefs des Restaurants hatten für Slow Food nicht nur die Türen aufgemacht. Sie krempelten auch ihre Speisekarte komplett um. Statt der üblichen Speisen wurde sämtlichen Gästen an diesem Tag eine Slow Food Karte mit elf Gerichten von 15 Arche-Passagieren angeboten. „Das hat es so in Deutschland noch nie gegeben“, würdigte Slow Food Vorsitzende Ursula Hudson die Ludwig-Küche.
Kreative Beispiele ihrer Karte: Hauseigene Nudeln mit einem Pesto vom Bremer Scheerkohl*. Selbstgemachte Fasanen-Maronen-Ravioli in Frühburgunder-Schalotten-Sauce. Beim Rückensteak vom Bunten Bentheimer Schwein in Malzbiersauce mit Filder-Spitzkraut und Bamberger Hörnla lagen gleich drei Arche-Produkte auf dem Teller. Die Gäste zögerten nicht lange: Schon am späten Nachmittag meldete die Küche erste Engpässe, gegen 20 Uhr war die Hälfte der Gerichte ausverkauft.
Foto oben: Hauptgericht mit drei Arche-Passagieren auf einem Teller - Rückensteak vom Bunten Bentheimer Schwein in Malzbiersauce mit Filder-Spitzkraut und Bamberger H örnla.
Verkostung von fast Vergessenem
Die Kölner Veranstaltung hatte das Thema „Biologische Vielfalt“ in den Mittelpunkt gestellt und dazu Marktstände mit gut einem Dutzend Arche-Passagieren aufgebaut von A wie Ahle Wurscht bis Z wie Burger BreZel. Die deutsche Arche vereint mittlerweile 40 vom Aussterben bedrohte Pflanzen, Haustierrassen und andere Lebensmittel.
Am Stand der Nordhessischen Ahlen Wurscht wurde viel probiert. Von links: Metzgermeister Matthias Pflüger, Metzgermeisterin Sabine Opfer, Metzgermeister Dieter Rohde und ein Standbesucher.
Zwei Riesenrammler der hoch gefährdeten Kaninchenrasse Meißner Widder nagten ihre Mohrrüben unten den Augen des Kölner Publikums ab. Andere Passagiere konnten gekauft und probiert werden. Und punktgenau zum Terra Madre Tag hatte das Alpine Steinschaf das Verfahren zur Aufnahme in die Arche hinter sich gebracht. Der neue Passagier war nicht nur auf Fotos und mit gegerbten Fellen präsent. Das „Ludwig“ servierte – „essen was man retten will“ – ein Ragout vom Alpinen Steinschaf mit Kichererbsen, Gemüse und Bulgur. Züchter Torsten Trapp schlachtet seine Lämmer erst nach rund zehn Monaten, in denen die Tiere der gefährdetsten deutschen Schafrasse durchgängig auf der Weide leben. Ergebnis: „Keinerlei Verfettungstendenzen“, so Trapp, und eine großartige Fleischqualität.
Foto oben: Thorsten Trapp züchtet die bedrohten Tierarten "Alpines Steinschaf" und "Meißner Widder" (Kaninchen). Die Schafe sind bereits in die Arche des Geschmacks aufgenommen, die Riesenrammler sollen auch noch von Slow Food gerettet werden.
Expertinnen-Tipp: "Zwiebeln im Garten geben der Erdbeere mehr Aroma!"
Am frühen Abend stiegen drei Referentinnen in die Bütt. Dorothea Wamper vom Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt gab einen Einblick in das Saatgutgeschäft der Konzerne. Sie hatte aber auch eine eigene Saatgutliste mitgebracht, in der allein 279 verschiedene Tomatensorten aufgeführt sind, die Klein- und Großgärtner bestellen können.
Garten-Fachberaterin Laurence Schweiger erstaunte mit ihren Berichten von Gartenpflanzen, die „sich gegenseitig helfen“, Schädlinge in Schach zu halten. Ihre eigenen zwei Gärten im Kölner Norden wachsen und blühen in einem geschlossenen Kreislauf, ohne Zukauf von Dünger oder Pflanzenschutzmitteln. Um den Geschmack der angebauten Kartoffeln zu verbessern, vergesellschaftet sie ihre Knollen mit Kümmelkulturen. Erdbeeren, sagt sie, bekommen ein intensiveres Aroma, wenn sie gemeinsam mit Zwiebeln angepflanzt werden.
Agrarexpertin Anita Idel stellte die überragende Bedeutung der großen Grasfresser für die Bodenfruchtbarkeit und für den Klimaschutz heraus. „Wie Rasenmäher“ stimulieren die Tiere auf der Weide das Wachstum der Graspflanzen nach oben und der Wurzeln nach unten. „Und Wurzeln sind der Humus von morgen“, so Idel. Ihre Klimaschutzrechnung: Jede Tonne zusätzlicher Humus im Boden entlaste die Atmosphäre um 1,8 Tonnen Kohlendioxid. Idels Fazit: Indem wir Bodenfruchtbarkeit schützen und aufbauen, schützen wir gleichzeitig das Klima.
Foto oben: Die drei Referentinnen des Abends (von links) - Dorothea Wamper, Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt; Anita Idel, Agrarexpertin; Laurence Schweiger, Garten-Fachberaterin.
Erfolgsgeschichte "Albleisa"
Die Slow Food Vorsitzende Ursula Hudson diskutierte zum Abschluss des Terra Madre Tags mit Aktivisten der Arche über alte und neue Passagiere auf dem Rettungsschiff und über biologische Vielfalt im Kochtopf. Die bisher schönste Erfolgsgeschichte der Arche hat die Alblinse („Albleisa“) geschrieben. Vor sechs Jahren wurden die auf der Schwäbischen Alb verschwundenen Linsen aus dem Genpool der Wawilow-Saatgutbank im russischen St. Petersburg geborgen. Aus wenigen hundert Körnern, die als Startkapital zur Verfügung standen, ist heute eine große Erzeugergemeinschaft mit acht Mitarbeitern entstanden. Den russischen Pflanzenschützern werden die Linsenbauern auf der Alb ewig dankbar sein. Slow Food Aktivist Roman Lenz beschreibt das Schicksal der einst ausgestorbenen Alblinse so: „Der Deutsche wirft’s weg, der Russe hebt’s auf!“
Der Schlussapplaus in Köln gebührte neben der Küche des „Ludwig“ vor allem dem Einsatz des Kölner Conviviums: Heste wirklich joot jemaat am Terra Madre Tag 2013.
* Passagiere der Slow Food-Arche sind im Text kursiv hervorgehoben.
Foto oben: Alblinsen sind seit Juli 2005 auf der Slow Food Arche des Geschmacks. Sie zeichnen sich aus durch einen intensiven, aromatisch-nussigen Geschmack.
Weitere Informationen:
Kulinarische Eindrücke von der Arche-Speisekarte
Vorspeise: Vesper-Teller mit Nordhessischer Ahle Wurscht*, Nieheimer Käse und Weißlacker Bergbauernkäse.
Pasta: Hausgemache Spaghettini mit Pesto vom Bremer Scheerkohl und Parmesan.
Vegetarisch: „Red Rocket“ gefüllt mit Späths Alblinsen 'Die Kleinen'* in Cashew-Curry-Sauce mit Gemüse und Duft-Reis.
Fleisch: Tafelspitz vom Murnau-Werdenfelser Rind in Meerrettichsauce auf Wurzelgemüse und Bouillonkartoffeln.
Dessert: Getreidekuchen aus Musmehl, einer Spezialität aus der Getreidemühle Luz, mit Bio-Wildhonig-Parfait.
* Passagiere der Slow Food-Arche sind im Text "gefettet" hervorgehoben.
Fotos auf dieser Seite: © Klaus Wohlmann (9), Simon Reitmeier (1)