Alarmzustand für die Wanderschäferei und alte Schafrassen
Die Wanderschäferei und alte Schafrassen sind Teil der kulturellen Vielfalt in Deutschland. Trotz ihrer Bedeutung für Landschaftsschutz und Klima ist diese alte Kulturform mit rasantem Tempo im Rückgang.
Die uralte Kulturform der Wanderschäferei ist eine höchste ökologisch nachhaltige Form der Nutztierhaltung. Die Tiere leben ressourcenschonend von wildwachsendem Futter und in freier Natur, und sie tragen sogar zum Erosionsschutz bei. Viel Bewegung und abwechslungsreiches Futter tragen zu geschmackvollem Fleisch bester Qualität bei und stellen im Vergleich zu industrieller Massenviehzucht wahrlich paradiesische Tierhaltungsbedingungen dar.
„Die Tiere der Wanderschäferei sind nicht nur gute Fleischlieferanten, sondern haben auch wichtige Funktionen für die Landschaftspflege und den Artenschutz“, unterstreicht Günther Czerkus, Vorsitzender des Bundesverbandes der Berufsschäfer e. V., „aber unser Beruf steht vor dem Verschwinden.“ Slow Food Deutschland organisiert des Öfteren Veranstaltungen mit dem Verein der Berufsschäfer, um auf die prekäre Situation dieses alten Berufs hinzuweisen und Schäfer und Schaf zu unterstützen.
Nur noch wenige junge Menschen sind bereit, den Berufsweg des Berufsschäfers einzuschlagen, da er lange Arbeitszeiten, wenig Freizeit und keine großen Einkommensaussichten mit sich bringt. So bemerkte Czerkus, dass heutzutage nur noch 10 bis 20 Lehrlinge pro Jahr deutschlandweit eine Ausbildung zum Schäfer beginnen.
Fehlender Nachwuchs mag auch dazu beitragen, dass in der Schäferei die Intensivhaltung zunimmt. Das schadet auch der biologischen Vielfalt, denn alte Schafrassen eignen sich – wie andere alte Tierrassen und Kulturpflanzen – nicht zur intensiven Produktion. Es gibt nur noch wenige Erzeuger, die sich mit der Zucht alter Rassen von der intensiven Tierhaltung abgrenzen. So steht es zum Beispiel sehr schlecht um die Moorschnucken, eine Schafrasse, die durch das Slow-Food-Projekt der Arche des Geschmacks unterstützt wird: 1936 zählten 94 Prozent des Gesamtschafbestandes der Moorgebiete Niedersachsens zu den Moorschnucken. 1974 lebten nur noch weniger als 100 registrierte Rassetiere. Obwohl ihre Zahl 2014 bei 3.000 lag, stuft sie die Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen e.V. (GEH) als gefährdet ein, denn die Herausforderung liegt weiterhin darin, den Verwandtschaftsgrad zwischen den Tieren nicht zu eng werden zu lassen. Und die Schäfer benötigen ein ausreichendes Einkommen.
Die Moorschnucke, eine unbehornte Schafrasse aus den niedersächsischen Moorniederungen, ist hervorragend angepasst an das Leben im Moor. Sie ist ein unverzichtbarer Partner bei der Renaturierung der Moore. Indem sie auch Baumschösslinge – zum Beispiel Birken – beweiden, halten sie die Landschaft offen und pflegen so einen Lebensraum für viele wilde, vom Aussterben bedrohte einheimische Tier- und Pflanzenarten. Der Rückgang der Moorschnucke ist vor allem aus klimapolitischer Sicht ein großer Verlust. Moore sind ein guter Kohlenstoffspeicher: Sie binden fast doppelt so viel Kohlenstoff wie die Wälder auf unserer Erde.
Wie die Moorschnucke sind die Weiße Gehörnte Heidschnucke und das Alpine Steinschaf vom Aussterben bedroht. Auch sie sind Passagiere der Arche des Geschmacks, dem internationalen Slow-Food-Projekt, das traditionelle Nutztierrassen, Kulturpflanzen und Lebensmittel schützt, die vom Verschwinden bedroht sind.
Die Weiße Gehörnte Heidschnucke wurde, ähnlich wie die Moorschnucke, durch Schafrassen ersetzt, die profitabler bei der intensiven Haltung waren. Das Alpine Steinschaf war einst Lieferant von Wolle und Fleisch. Seit den 1960er Jahren wurde es jedoch zu Gunsten von Fleischschafrassen gezielt verdrängt. Der Verlust dieser Rasse wirkt sich auf das ganze Ökosystem des bayrischen Alpenraumes aus, wo sie durch ihre einzigartigen Eigenschaften einst zum ökologischen Gleichgewicht beitrug. Aufgrund sehr harter Klauen, guter Trittsicherheit, großer Genügsamkeit und der guten Wetterhärte sind die Tiere bestens an die rauen Bedingungen im Hochgebirge angepasst. In den extremen Hochlagen, die für Rinder oder sogar andere Schafrassen unzugänglich sind, leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung traditioneller Almlandschaften: Die regelmäßige Abweidung der Schafe führt zu einer Verdichtung des Wurzelgeflechtes der Gräser, die Grasnarbe verfestigt sich und wird so vor Erosion geschützt.
Mit der Arche des Geschmacks setzt sich Slow Food für die Erhaltung der Biodiversität und der Vielfalt auf unserem Teller ein.
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Das internationale Projekt "Arche des Geschmacks" der Slow Food Stiftung für Biodiversität schützt weltweit über 2.000 regional wertvolle Lebensmittel, Nutztierarten und Kulturpflanzen vor dem Vergessen und Verschwinden, die unter den gegenwärtigen ökonomischen Bedingungen am Markt nicht bestehen oder "aus der Mode" gekommen sind. Die Passagiere der Arche des Geschmacks bringen Abwechslung auf den Teller und erhalten dabei die kulturelle und biologische Vielfalt der Regionen. Schwerpunkt der Arbeit ist das aktive Sammeln, Beschreiben, Katalogisieren und Bekanntmachen der Passagiere. Das Motto lautet: Essen, was man retten will! Denn: Was nicht gegessen wird, wird nicht nachgefragt, kann also nicht verkauft werden und wird deshalb nicht hergestellt. Die "Arche des Geschmacks" ist ein eingetragenes Warenzeichen von Slow Food International. Das Projekt wurde 1996 ins Leben gerufen, in Deutschland gibt es zur Zeit 55 Arche-Passagiere.