Kein Lübecker Marzipan aus Kalifornien
PRESSEINFORMATION – Berlin, 03. Februar 2015
Lübecker Marzipan aus Kalifornien, Thüringer Bratwurst aus Georgia und Bamberger Hörnchen aus Idaho? Anything goes, wenn es nach unserem Landwirtschaftsminister Christian Schmidt geht. Der hatte nach der letzten Verhandlungsrunde zum deutsch-amerikanischen Handelsabkommen TTIP verlauten lassen, dass wir nicht mehr „jede Wurst und jeden Käse als Spezialität schützen können“, wenn wir „die Chancen des riesigen amerikanischen Markts nutzen wollen“. Und weiter befand der Minister: „Es wäre unseren amerikanischen Handelspartnern schwer vermittelbar, dass sie keinen Tiroler Speck oder Holländischen Gouda zu uns exportieren dürften, wenn wir in Europa selbst den Schutz nicht konsequent durchsetzen.“
Auf Deutsch: Weil wir beim Schutz unserer Spezialitäten zu halbherzig sind, können wir ihn auch gleich ganz abschaffen und auf dem TTIP-Altar opfern. Wenn ein Wirtschafts- oder Industrieminister so argumentieren würde, könnte man das noch als peinliche Entgleisung eines einseitig orientierten Politikers abtun. Wenn aber der verantwortliche Ressortchef für Ernährung und Landwirtschaft leichtfertig die Kulturgüter der deutschen und europäischen Küche entsorgen will, dann stellt sich die Frage, ob dieser Mann womöglich fehl am Platz ist. Slow Food Deutschland hat die Aussagen Schmidts mit Befremden und Fassungslosigkeit zur Kenntnis genommen. „Man muss schon zweimal hinschauen, weil man es eigentlich nicht glauben kann“, sagt die Vorsitzende von SF Deutschland, Ursula Hudson: „Hat Minister Schmidt eigentlich vergessen, auf welcher Seite des Verhandlungstischs er sitzt?“
Dass der Schutz unserer Spezialitäten und die Vorschriften für die von Brüssel vergebenen drei Gütezeichen (geschützte Ursprungsbezeichnung GU, geschützte geografische Angabe GGA und garantiert traditionelle Spezialität GTS) nicht ausreichen, das hat Slow Food immer wieder kritisiert. In der Tat: Die Vorschriften sind von den Herstellern meist so lasch formuliert, dass man niemandem weh tut und sämtliche Produzenten „mitgenommen“ werden. Eine ursprünglich auf die Region begrenzte Spezialität kann dann auch von der Industrie im großen Stil als Massenware hergestellt werden. Das ist tatsächlich halbherzig. Aber anstatt jetzt den Schutz zu verbessern und mit ambitionierten Reformen die kulinarische Identität unserer Regionen und Länder zu stärken, will Minister Schmidt die Vorschriften weiter lockern oder gleich ganz abschaffen. Schwarzwälder Schinken soll also künftig auch im amerikanischen Schweinegürtel produziert werden. Ein ehemals regionales Qualitätsprodukt wird damit globalisiert und verkommt zur Ramschware. Vielleicht hängt man ja in den Schlachthöfen von Chicago das Foto eines Schwarzwaldmädels mit Bollenhut auf, um Verbundenheit herzustellen.
Verbrauchertäuschung wird so zum politischen Programm – Lebensmittel werden wie Ziegelsteine produziert. Herkunft, Tradition, Identität, Herstellungsverfahren und besondere Produktspezifikation – ist das alles wirklich wurscht? Viele unserer Spezialitäten stehen für echte Qualität, die es zu bewahren gilt. Sie sind eng mit dem Klima, den Böden und der Tradition der jeweiligen Region verbunden. Sie sind nicht zufällig entstanden, an ihre Herstellung ist ein oft Jahrhunderte altes Know-how geknüpft. Ein Beispiel: Schwarzwälder Schinken ist auch deshalb so eng mit der Region verbunden, weil er über viele Monate mit Nadelhölzern und Sägemehl aus der waldreichen Region des Schwarzwalds geräuchert wurde. Aber das Räuchern geschah eben nicht im Schnelldurchgang und die Schinken wurden auch nicht mit dem Einsatz von künstlichem Raucharoma frisiert.
Die Spezialitäten unserer Regionen sind Teil der kulinarischen Nabelschnur Europas, die weit in unsere Kulturgeschichte zurückreicht. Sie zu hegen und zu pflegen, ihren Schutz zu verbessern und sie zu echten Leuchttürmen der Qualität zu machen – das wäre die Aufgabe eines Ernährungs- und Landwirtschaftsministers. Slow Food Deutschland wird, zu Beginn der achten Verhandlungsrunde, sehr genau beobachten, wie die europäische und deutsche Seite in den TTIP-Beratungen mit unserem Kulturerbe umgehen. Hanns-Ernst Kniepkamp, Leiter der Qualitätskommission von Slow Food: „Wir werden sehen, ob die Bekenntnisse zu einem Europa der kulturellen Vielfalt wirklich ernst gemeint sind. Denn ein unverzichtbarer Teil dieser kulturellen Vielfalt sind die großartigen kulinarischen Spezialitäten aus unseren Regionen! Und was würden eigentlich die Amerikaner sagen, wenn wir die Bourbon-Whiskey-Produktion nach Mecklenburg-Vorpommern verlegen?“
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Dr. Hanns-Ernst Kniepkamp
Leiter der Qualitätskommission von Slow Food Deutschland
Telefon 05663-7255
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