Münsingen: Eine kulinarische Bestimmungsübung

Am 8. August 2017 stand das Musmehl im Zentrum einer Verkostung im baden-württembergischen Münsingen und wurde in einem Dreigangmenü neu interpretiert. Das Musmehl gehört zu den ältesten Nahrungsmitteln der Schwäbischen Alb. Obwohl es ernährungsphysiologisch ideal in die moderne Küche passt, ist es inzwischen nahezu in Vergessenheit geraten. Slow Food Deutschland hat es deshalb 2005 als Passagier in die „Arche des Geschmacks“ aufgenommen und engagiert sich aktiv für dessen Fortbestand.

Musmehl – ein regionales Kulturgut kulinarisch neu interpretiert

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Anlässlich des 25-jährigen Bestehens von Slow Food Deutschland e. V. lud der Verein gemeinsam mit Jürgen Autenrieth (Koch), Helmut Dolde (Winzer) und Roman Lenz (Landschaftsökologe) zu einem kulinarischen Musmehl-Abend ins albgut Altes Lager in Münsingen ein. Rund vierzig Gäste wurden zunächst im Pavillon mit kleinen Häppchen eines zur Hälfte aus Musmehl gebackenem Focaccia begrüßt. Dazu gab es einen sommerlich-frischen Silvaner aus den hoch gelegenen Neuffener Rebengärten von Helmut Dolde. Währenddessen lauschten die Gäste gespannt der Geschichte und der Charakteristika des Musmehls. Denn das blickt auf eine lange Historie zurück, die selbst einigen der anwesenden Schwaben nicht bekannt war. Schon im Mittelalter wurde es insbesondere in Baden-Württemberg und im Allgäu als süß oder herzhaft gekochter Brei zubereitet. Der aus dem Mehl hergestellte sogenannte „Schwarze Brei“ schützte die Landbevölkerung über Jahrhunderte als Hauptnahrung vor dem Verhungern. Viel Gutes steckt nämlich im Musmehl. Es ist ein günstiges, aromatisches und nahrhaftes Vollkornprodukt mit nussigem Geschmack. Traditionell wird es aus den ganzen Körnern von Weizen und Dinkel hergestellt, welche im Ofen geröstet und anschließend gemahlen werden.

Bild oben: Ein Klassiker neu interpretiert - Älblerfrühstück aus Musmehl-Habermusbrei mit Leinsamen, Leinöl, Äpfeln und Waldbeeren.

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„Muasmähl“ – der perfekte Gast in der modernen Küche

Vom Frühstück über das Hauptgericht bis hin zum Nachtisch ist das grießig gemahlene Musmehl, schwäbisch „Muasmähl“, auch für die Ansprüche und Rezepte der heutigen Küche vielfältig einsetzbar. „Musmehl ist ernährungsphysiologisch fantastisch. Und wenn es nicht schon früher erfunden worden wäre, so hätten wir heute gute Gründe es zu tun,“ erklärt Prof. Dr. Roman Lenz, Landschaftsökologe und Mitglied im Slow Food Convivium Tübingen/Neckar Alb während der Verkostung. Dann ging es von der Theorie aber schnell wieder in die Praxis. Für die Geschmackserlebnisse sorgte an diesem Abend der Koch Jürgen Autenrieth mit drei Gängen. „Etwas neues aus einem Traditionsprodukt wie dem Musmehl zu kreieren macht mir total Spaß und ich bin natürlich gespannt, wie sowohl die herzhaften als auch die süßen Varianten bei den Gästen ankommen. Bestenfalls kann ich sie motivieren, das Musmehl als Grundzutat auch in der eigenen Küche wieder zu verwenden. Einfach ausprobieren,“ plädiert  Autenrieth. Für den Hauptgang kreierte er Musmehlpolenta mit gebratenem Saiblingsfilet und gegrilltem Gemüse. Und Helmut Dolde hatte den passenden Tropfen, denn das Musmehl von der Alb und seine Bergweine vom Rand der Schwäbischen Alb passen wunderbar zusammen. „Sie wachsen unter ähnlichen Bedingungen auf. Der frische kühle Weißburgunder ‚Brauner Jura‘ bietet so viel Kraft und Druck, dass er die Röstaromen des Musmehls unterstützt und eine sehr stimmige Paarung für den Hauptgang bietet,“ erläutert Dolde. 

Bild oben: Zur Begrüßung wurde Focaccia gereicht, welches zur Hälfte aus Musmehl gebacken wurde.

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Und zum Nachtisch das Frühstück

Während des Essens an großen runden Tischen entwickelte sich eine ausgelassene Stimmung und rege Gespräche zwischen den Teilnehmern der Verkostung, die sich größtenteils zuvor nicht kannten. Zum Abschluss erwartete sie eine weitere kulinarische Überraschung: Zum  Nachtisch gab es nicht nur Musmehl-Flammerie mit heimischen Früchten sondern auch Älblerfrühstück neu interpretiert. Als Musmehl-Habermusbrei überzeugte der Klassiker mit Leinsamen, Leinöl, Äpfeln und Waldbeeren. Und dazu? Ein prickelnder Schaumwein aus Schwarzer Birne. Die saftige lokale Mostbirnensorte ist ebenfalls Passagierin der Arche des Geschmacks. Alle Sorgen über mögliche Müdigkeitserscheinungen nach dem üppigen Mal nahm den Gästen der Kaffee-Experte Marco Niebling von „Heermann und Niebling“ in Frickenhausen. Er hielt die passende Kaffeebegleitung zum Dessert bereit. Zu der Musmehl-Flammerie empfahl der Kaffee-Liebhaber seinen Shuna-Espresso. Dieser begleitete mit seinen feinen, kraftvollen Aromen der Kaffeekirschen Arabica aus der äthiopischen Provinz Burkisa und Robusta von der Elfenbeinküste die Süßspeise. Auch dabei erlebten die Gäste den Wert von Qualität. „Nur die reifen Bohnen kommen handgepflückt direkt von den Kaffeebauern und erfahren in Mössingen auftragsbezogen vom Röstmeister eine traditionell aufwändige Langzeit-Trommelröstung,“ so Niebling und versichert, dass er es auch in Sachen Nachhaltigkeit ernst meint. Fünf Prozent vom Umsatz seiner Handlung fließen zurück in die Unterstützung von Bildungseinrichtungen für eine nachhaltige Verbesserung der Lebenssituation junger Menschen vor Ort in Äthiopien. Dr. Ursula Hudson, Vorsitzende von Slow Food Deutschland, zeigte sich sichtlich begeistert am Ende des Abends. „Genau das ist es, was wir uns für die Arche-Passagiere wünschen. Aufmerksamkeit, Wertschätzung und Nachfrage. So können diese Produkte weiterhin oder wieder handwerklich in ihrer Region hergestellt und weiterverarbeitet werden,“ so Hudson.

Bild oben: Flammerie aus Musmehl mit heimischen Früchten zum Nachtisch wurde durch prickelnden Schaumwein aus Schwarzer Birne begleitet.

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Begeisterte Gesicher (v.l.n.r.): Brigitte Lenz, Helmut Dolde, Ursula Hudson, Roman Lenz, Hedwig Dolde und Jürgen Authenrieth freuten sich über so viel Wertschätzung für das Musmehl.

Alle Bilder ©
Rose Schweizer

Die Musmehl-Rezepte

Hier finden Sie die Rezepte zu den Musmehl-Gerichten der Veranstaltung.

Foccacia mit Rosmarin und Musmehl

400 g Musmehl
200 g Emmermehl
200 g Dinkelmehl
20 g Hefe, Salz, Prise Zucker
350 g Wasser
5 EL Olivenöl
frischer Rosmarin

Zubereitung: Aus den Zutaten einen Hefeteig herstellen und mindestens 10 Stunden ruhen lassen. Vor dem verarbeiten glatt schlagen. 2-3 cm dick auf ein gefettetes Backblech auslegen und mit frischem Rosmarin und Meersalz bestreuen. Bei 220 Grad ca. 15-20 Minuten backen und zum Schluss noch mit Olivenöl beträufeln.


Musmehlpolenta

250 g Musmehl
1 l Gemüsebrühe
100 g Büffelkäse Salz, Pfeffer, Muskat
Butterschmalz und frischer Dost

Zubereitung: Musmehl in der Gemüsebrühe aufkochen, mit Salz, Pfeffer und Muskat würzen, anschließend 10 Minuten im Topf quellen lassen. Mit dem geriebenem Albkäse verfeinern und in eine Form 2 cm tief streichen. Nach dem erkalten in Butterschmalz und frischem Dost von beiden Seiten in einer Pfanne anbraten.


Musmehlflammeri

1/2 l Milch
20 g Honig und eine ½ Vanilleschote
60 g Musmehl
5 Blatt Gelatine
3 Eier und 40 g Zucker, Zitronenabrieb
125 g geschlagene Sahne

Zubereitung: Milch, Honig, ausgekratzte Vanilleschote mit dem Musmehl aufkochen und 10 Minuten ziehen lassen. Die Eigelb mit dem Zucker zur Rose auf einem Wasserbad aufschlagen und die eingeweichte Gelatine dazugeben, anschließend die Musmehlmilch unterrühren und kaltschlagen. Zum Schluss das steifgeschlagene Eiweiß, Zitronenabrieb und die Sahne unterheben. Vor dem Servieren 2 Stunden kaltstellen.


Schwarzer Brei 4.0 oder Älbler Frühstück
Musmehl-Dinkelmüsli

1 Tasse Musmehl
1 Tasse Dinkel-Habermus (Dinkelvollkornschrot)
7 Tassen Wasser
2 Äpfel in Würfel geschnitten
4 EL Honig
1 Msp. Zimt, 2 Esslöffel gemahlene Leinsamen
1 EL feingeriebener Ingwer
100 g Cashewkerne oder Walnüsse
50 g Leinöl
150 g frische Waldbeeren (Heidel-, Brom- oder Johannisbeeren)

Zubereitung: Dinkel-Habermus und das Musmehl in Wasser einrühren (etwas Salz in das Wasser streuen) unter ständigem Rühren 5 Minuten zum Kochen bringen. Äpfel, Honig, Ingwer, Cashewkerne dazu tun und ausquellen lassen. Leinsamen und die Waldbeeren auf das fertig gekochte Mus streuen. Das Leinöl ganz zum Schluss unterrühren, würzen nach eigenem Geschmack.

Münsingen, 8.8.2017 | Eine kulinarische Bestimmungsübung zu einem der ältesten Nahrungsmittel der Schwäbischen "Cucina povera"

Das Musmehl von der Schwäbischen Alb ist seit 10 Jahren Archepassagier und eines der wesentlichen Ausgangsprodukte des sog. Schwarzen Breies.

Je nach Getreidezusammensetzung (Dinkel und/oder Weizen), Dörr- und Mahlgrad oder Zubereitung (mit Milch in Oberschwaben, mit Wasser auf der Alb) wurden im Rahmen der Veranstaltung verschiedene Varianten dieses früher weit verbreiteten "Bauernfrühstücks" verkostet. Wer meint, dass dies eine etwas arg "in die (genussarme) Vergangenheit gerichtete" Bestimmungsübung ist, wird mit einem Musmehlflammerie und einer Musmehlpolenta eines besseren belehrt!

Die Veranstaltung fand mit Jürgen Autenrieth (Gastronom), Helmut Dolde (Winzer) und Roman Lenz (Landschaftsökologe) statt.

Datum: Dienstag, 8.8.2017
Uhrzeit: 18:00 Uhr
Ort: albgut Altes Lager, Foyer des Königlichen Württemberg Palais, Hauptstraße 318, 72525 Münsingen (gegenüber Gasthof Schützen)

Mehr Informationen:

Arche des Geschmacks

Arche-Passagier Musmehl

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